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Die Verlorenen von New York

Die Verlorenen von New York

Titel: Die Verlorenen von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Beth Pfeffer
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schreckliche Absurdität dieses Gedankens, vielleicht auch nur der Hunger, jedenfalls musste Alex zum ersten Mal seit Wochen lachen.
    Sonntag, 19 . Juni
    Alex saß im Wohnzimmer auf dem Sofa und nutzte die unverhoffte Stromversorgung des Sonntagnachmittags dazu, sein Lateinbuch zu beleuchten. Morgen fingen die Abschlussprüfungen an, und er war fest entschlossen, in der Lateinprüfung bei Pater Mulrooney zu glänzen.
    »Mit Strom geht doch alles viel besser«, murmelte er, was genau die Art von Ausspruch war, für die Pater Mulrooney nur Verachtung übrighatte. Aber als Pater Mulrooney mit dem Lateinlernen angefangen hatte, war der Strom bestimmt noch gar nicht erfunden. Wahrscheinlich hatte er seine Deklinationen noch bei Julius Cäsar persönlich gelernt.
    Alex stellte sich Pater Mulrooney gerade in einer Toga vor, als er hörte, wie sich ihrer Wohnungstür Schritte näherten. Einen Moment lang setzte sein Herzschlag aus.
    Julie kam aus ihrem Zimmer gerannt. »Wer kann das sein?«, rief sie aufgeregt.
    Alex bedeutete ihr, leise zu sein und in ihrem Zimmer zu bleiben. Julie wollte schon trotzig die Unterlippe vorschieben, gehorchte dann aber doch.
    Es klopfte.
    »Wer ist da?«, fragte Alex.
    »Greg Dunlap«, erwiderte ein Mann. »Apartment 12 B.«
    O Gott, dachte Alex. Der mit dem verstopften Abfluss. Er öffnete die Tür. »Mr Dunlap«, sagte er. »Mein Vater hatte leider noch keine Zeit, sich um Ihren Abfluss zu kümmern. Er ist …«
    »… nie zurückgekommen, stimmt’s?«, sagte Mr Dunlap.
    Alex wollte so schnell keine glaubhafte Lüge einfallen, deshalb nickte er nur.
    »Solche Geschichten hört man ständig in der letzten Zeit«, sagte Mr Dunlap. »Darf ich reinkommen?«
    »Natürlich, entschuldigen Sie«, sagte Alex. »Wir haben lange keinen Besuch mehr gehabt.«
    »Alles in Ordnung bei euch?«, fragte Mr Dunlap. »Ich wollte längst mal vorbeikommen, weil ich ja wusste, dass Luis in Puerto Rico ist, aber jedes Mal ist mir irgendwas dazwischengekommen. Wie das so ist bei guten Vorsätzen. Wie geht’s dem Rest der Familie? Habt ihr von Carlos gehört?«
    Alex nickte. »Dem geht’s gut.«
    »Na prima«, sagte Mr Dunlap. »Und deine Mutter? Ist sie zu Hause? Ich wollte sie gern sprechen.«
    »Sie ist gerade nicht da«, sagte Alex. Das war genau genommen keine Lüge und viel einfacher als die Wahrheit.
    »Na gut, ich kann das auch mit dir besprechen«, sagte Mr Dunlap. »Bob und ich, wir machen uns nämlich morgen früh auf den Weg nach Vermont. Wir haben Freunde dort. Wir sind überhaupt nur deshalb so lange geblieben, weil wir die Katze in 16 D versorgen sollten. Die Wohnung gehört Freunden von uns, die gerade auf Maui im Urlaub waren, als die Sache passiert ist. Eigentlich sollten sie am Wochenende darauf zurückkommen, aber wir haben nichts mehr von ihnen gehört. Also haben wir die Katze einfach immer weiter versorgt. Aber das wird jetzt langsam lächerlich, wir wollen hier schließlich nicht umkommen, nur weil wir zugesagt haben, die Katze von Freunden zu versorgen, die sicher längst… na ja, die wohl nicht mehr zurückkommen werden. Wir haben ihnen einen Monat Zeit gelassen. Jetzt nehmen wir die Katze einfach mit.«
    »Dann muss also auch keiner mehr den Abfluss reparieren?«, fragte Alex.
    »Der Abfluss ist nun wirklich das geringste Problem«, sagte Mr Dunlap. »Weißt du, als ich damals mit der Pizza nach Hause kam, da saß Bob gerade vor dem Fernseher und war vollkommen außer sich. Er wusste schon, was passiert war – ich nicht. Ich weiß nur noch, wie ich auf dem Heimweg dachte, dass es bestimmt bald regnen würde. Das war der letzte glückliche Moment, an den ich mich erinnern kann, vielleicht sogar der letzte meines Lebens. Na ja, jedenfalls bin ich jetzt gekommen, um euch die Schlüssel für unsere Wohnung und für 16 D zu überlassen. Die meisten Lebensmittel haben wir selber verbraucht, aber ein bisschen ist noch übrig, und auch so einiges andere, das ihr vielleicht gebrauchen könnt.« Er hielt Alex zwei Schlüsselbunde hin. »Bob war es lieber, dass einer von der Vincent de Paul die Sachen bekommt«, sagte er. »Vielleicht hilft das ein bisschen.«
    »Ganz bestimmt, vielen Dank«, sagte Alex. »Das ist sehr nett von Ihnen.«
    »Ihr wollt vermutlich noch warten, bis eurer Vater zurückkommt«, sagte Mr Dunlap. »Ich weiß, wie schwer es ist, sein Zuhause aufzugeben. Aber New York geht schweren Zeiten entgegen. Bob arbeitet bei der Daily News, da ist er gut informiert. Es wird schlimm

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