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Die Verlorenen von New York

Die Verlorenen von New York

Titel: Die Verlorenen von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Beth Pfeffer
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doch nun wirklich nicht zu viel verlangt.
    Donnerstag, 10 . November
    Julie hüpfte den ganzen Weg bis zu Harveys Laden. »Hoffentlich fahren wir irgendwohin, wo es warm und sonnig ist«, sagte sie. »Vielleicht sollten wir nach Texas fahren und versuchen, Carlos zu finden.«
    Alex wollte sie davor warnen, sich allzu große Hoffnungen zu machen, aber in den vergangenen sechs Monaten hatte es für Julie so wenige Momente der Hoffnung gegeben, dass er es nicht übers Herz brachte, sie zu entmutigen. Vielleicht war es ja tatsächlich ein Wunder, dass sie gerade an Papás Geburtstag das Lotterielos gefunden hatten. Und ein Wunder hatte sich die Familie Morales langsam verdient.
    Harvey hatte seine wöchentliche Lieferung noch nicht erhalten und der Laden war fast leer. »Hier soll das sein?«, fragte Julie skeptisch, während Alex ihr die Tür aufhielt.
    »Freitags ist mehr los«, sagte er.
    »Alex«, sagte Harvey. »Schön, dich zu sehen. Und wer ist diese junge Dame?«
    »Meine Schwester Julie«, sagte Alex. »Julie, das ist Harvey.«
    Harvey lächelte. Alex sah, dass er seit ihrer letzten Begegnung einen Zahn verloren hatte. Er verrottet allmählich, dachte Alex. Genau wie diese Stadt.
    »Wir haben etwas für Sie«, sagte Julie. »Etwas Wertvolles. Stimmt’s, Alex?«
    »Sehr wertvoll«, sagte Alex.
    »Wir wollen es eintauschen gegen eine Möglichkeit, aus New York wegzukommen«, sagte Julie. »Ich und Alex und Bri.«
    »Wer ist Bri?«, fragte Harvey.
    »Meine Schwester«, antwortete Julie. »Sie hat Asthma, deshalb müssen wir irgendwohin, wo die Luft besser ist und wo sie gesund werden kann. Wo es warm und schön ist. Und sie kann auch nicht weit laufen, deshalb muss es gut erreichbar sein.«
    »Das sind ja ganz schöne Ansprüche«, sagte Harvey. »Ich weiß, was du mir sonst so bringst, Alex. Schöne Sachen, versteh mich nicht falsch, aber nichts, womit man eine Luxusreise ins Paradies bezahlen könnte.«
    »Soll ich’s ihm zeigen?«, fragte Julie, aber bevor Alex noch Ja oder Nein sagen konnte, hatte sie das Los auch schon aus der Tasche gezogen und wedelte damit herum. »Das ist ein Rubbellos im Wert von zehntausend Dollar!«, rief sie. »Wird das wohl reichen?«
    Harvey nahm Julie das Los aus der Hand. Er betrachtete es eingehend und legte es dann auf den Tresen.
    »Das muss doch eine Menge wert sein«, sagte Alex. »Was meinen Sie, was man dafür kriegen könnte?«
    Harvey lachte. »Vor sechs Monaten wäre es zehntausend Dollar wert gewesen. Vor fünf Monaten vielleicht auch noch. Aber jetzt ist es nicht mal mehr das Papier wert, auf dem es gedruckt ist.«
    »Wieso?«, fragte Julie. »Das ist ein Los der staatlichen Gewinnlotterie. Die Regierung muss das bezahlen.«
    »Schätzchen, der Regierung ist das völlig egal«, sagte Harvey. »Du verstehst das, Alex. Niemand verwendet heute noch Geld. Heute zählen nur noch Lebensmittel, Benzin und Beziehungen.«
    »Aber irgendwer muss das doch haben wollen«, flehte Julie. »Wir wollen auch gar kein Geld dafür, nur eine Möglichkeit, aus New York wegzukommen.«
    »Man kann doch raus aus der Stadt«, sagte Harvey. »Es werden auch immer noch Leute evakuiert.«
    »Es geht ja nicht nur ums Rauskommen«, sagte Alex, obwohl er wusste, dass das nicht ganz richtig war. »Es geht vor allem darum, einen sicheren Ort zu finden, wo Bri medizinische Hilfe bekommt.«
    Harvey schüttelte den Kopf. »Dazu braucht es aber einiges mehr als ein Lotterielos«, sagte er. »Solche Orte gibt es natürlich, aber wenn man da reinwill, muss man jemanden kennen. Dafür braucht man Beziehungen.«
    »Kriegt man denn gar nichts für dieses Los?«, fragte Alex. Er hatte keine Lust, Julies schlechte Laune zu ertragen, wenn sie mit leeren Händen gehen mussten.
    Harvey sah sich das Los noch einmal an. »Du weißt, dass ich dich gut leiden kann, Alex. Du bist ein guter Geschäftsmann und davor habe ich Respekt. Ich würde dich nie übers Ohr hauen. Zwei Dosen Hühnersuppe, weil du’s bist.«
    »Nein«, sagte Julie und riss ihm das Los aus der Hand. »Dann gehen wir eben woandershin. Zu jemandem, der uns helfen kann.«
    »Es gibt hier niemanden mehr außer mir, Schätzchen«, sagte Harvey. »Ich bin der Letzte einer aussterbenden Art. Pass auf, ich leg noch eine Dose Ananas drauf. Das wär doch mal was Feines.«
    Alex stellte sich die Dose Ananas vor. Bri mochte Ananas schrecklich gern. »Julie«, sagte er. »Ananas, das ist doch fast so gut wie Kürbiskuchen.«
    »Ich hasse dich«, schrie Julie

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