Die Vermessung der Lust (German Edition)
aufdringlich wirkte. Und völlig verschlafen sah sie auch aus. Si... Lars durchfuhr ein Verdacht. Sollte Dora bei ihrem gestrigen Orgasmus den Namen Simone zu stöhnen begonnen und vor lauter Wollust nicht zu Ende artikuliert haben? Nein, völlig abwegig. Eine Frau, die seine Manneskraft zu spüren bekam, dachte nicht an andere Frauen.
Die letzten Meter zum Institut legte Lars mit etwas zögerlichen Schritten zurück. Sein Magen hatte sich wie in Krämpfen zusammengezogen, nervöser Harndrang machte sich bemerkbar und auf der Stirn des Doktoranden erschienen einzelne Schweißperlen, die in der flachen Morgensonne verräterisch funkelten. Nein, er war keine Pussy. Er würde jetzt aufs Klo gehen, dann ins Büro zu Dora, dann zu IHR. Als er ihren Namen dachte, erschütterte ihn eine heftige Erektion und brachte ihn beinahe aus der Balance.
*
Aha, Simone. Sie huschte an ihm vorbei, grüßte nur kurz, ohne ihn anzusehen. Schiffler fand das total erotisch. Es steckte Scheu darin, auch ein Anflug von devoter Haltung, dominanten Männern gegenüber. Nicht dass Schiffler Frauen erniedrigt hätte! Oh nein, er konnte sehr verschmust sein, aber immer erst nach dem Akt. Es war eine sich wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte ziehende Tatsache, dass der Geschlechtsakt an sich Priorität genoss, die Fortpflanzung der eigenen Spezies, und dass dieses sogenannte Vorspiel nichts weiter war als ein kulturelles Accessoire, Moden unterworfen und ergo rein temporärer Natur.
Man konnte sich kaum vorstellen, dass sich die Höhlenmenschen vor der Begattung die Wangen getätschelt und die Hälse abgeleckt hatten, von handfesteren Stimuli ganz zu schweigen. Neandertaler machten keine Blowjobs. Sie mussten ihre Kräfte für die Säbelzahntiger aufsparen.
Er sah der Kleinen nach. Hübscher Arsch. Gebärfreudiges Becken. Auch das waren historische Fakten. Männer achteten bei Frauen automatisch auf die Beckenform, aus der sie die Qualifikation des Weibes für unkomplizierte Schwangerschaften und Niederkünfte herauslasen. Nun ja, diese Zeiten hatte man hinter sich gelassen. Schiffler wollte keine Kinder, allein der Gedanke hatte ihn immer abgeschreckt. Obwohl... es war ein Zeichen ungebrochener Manneskraft, in seinem Alter noch ein Kind mit einer jungen Frau gezeugt zu haben. Man schob die Potenz quasi im Kinderwagen vor sich her und erregte den Neid der Altersgenossen. Aber hatte er das nötig? Wohl kaum.
In solche Gedanken vertieft, schlenderte Schiffler zur Cafeteria der philosophischen Fakulät, logischerweise Philosophencafé genannt. Es war angenehm warm, man konnte im Freien sitzen, seinen Kaffee trinken, sein Croissant essen, die Studentinnen beobachten. Manchmal setzten sich welche, die ihn erkannt hatten, zu ihm, angehende Psychologinnen, die wussten, dass er nicht von der Arroganz seines Berufsstandes befallen war und stets ein offenes Ohr für die Anliegen junger Frauen hatte. Natürlich auch für die junger Männer, wenn es sich partout nicht vermeiden ließ.
Heute Morgen hatte er Glück. Ganz hinten an einem kleinen runden Tisch saß Konstanze, ein fortgeschrittenes Semester aus seinem Kurs. Sie war allein und starrte auf ihr Tablet. Als Schiffler herantrat und fragte, ob er sich dazusetzen könne, erschrak sie, fing sich jedoch schnell, lächelte und sagte »Ja, aber gerne«. Schiffler lächelte zurück und nahm Platz. Konstanze. Arsch, Becken einwandfrei, das wusste er, da musste sie nicht extra aufstehen.
»Darf ich Ihnen einen Kaffee mitbringen?«, fragte er, sich wieder erhebend. »Oder ein Croissant? Eine Käsesemmel?«
»Oh...«, machte Konstanze und behielt das hübsche Rund ihrer Lippen für einige Sekunden bei. Schiffler spürte gewisse Veränderungen in seinem Körper, es überlief ihn vielleicht sogar kalt. »Einen Kaffee, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
Sie kramte tatsächlich nach ihrem Geldbeutel. Schiffler winkte lässig ab. Der Kaffee kostete hier nur einen Euro. Mit Milch und Zucker.
Zufällige Begegnungen
Natürlich hatte er ihr am Morgen Frühstück gemacht. Seit fünfundzwanzig Jahren tat er das, ein Kännchen grünen Tee, zwei Scheiben Vollkornbrot, Butter und Marmelade, die machte er sogar selbst, am liebsten aß sie Mirabellen und Erdbeeren. Und zwanzig Minuten, bevor sie das Haus verließ, einen kräftigen Espresso. Wie alles, was mit seiner Frau zu tun hatte, machte Konrad auch dies gerne. Und heute war es nicht anders gewesen als an den Tausenden Tagen zuvor, sie hatten
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