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Die Vermessung der Lust (German Edition)

Die Vermessung der Lust (German Edition)

Titel: Die Vermessung der Lust (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catrin Alpach
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nichtmaterielle Signale, auf eine Form von X-Wellen, das musste erforscht werden. Von ihr.
    Sie war aufgeregt. Stand auf, ging zum Fenster, sah hinunter, wo gerade Grüppchen von Studierenden ihren Vorlesungen und Seminaren zustrebten. Da unten schwirrten sie herum, diese X-Wellen. Man musste sie sich wie ein Meer vorstellen, ein tosendes, gegen die Küsten der Körper brandendes Meer.
    Aus dem Telefonverzeichnis suchte Dora die Nummer der »Wild Girlz« heraus, einer Hochschulgruppe lesbischer Studentinnen, und rief an. Eine ziemlich tiefe Frauenstimme meldete sich mit »Hi«. Oh mein Gott. Sofort erschien das Bild eines kurzhaarigen, vermännlichten Wesens in Doras Kopf, einer Kampflesbe, wie man so sagte. Egal. Sie stellte sich vor und beschrieb ihrer Gesprächspartnerin, die Ariane hieß und Vorsitzende der Gruppe war, in Grundzügen das geplante Experiment. »Aha«, sagte Ariane nur. Eine peinliche Sprechpause entstand, bis vom anderen Ende der Leitung ein Lachen kam.
    »Sorry, Dora, ich hab mir das gerade nur vorgestellt. Ziemlich strange, aber hey, warum eigentlich nicht? Sollten wir das bei einem Kaffee besprechen? Jetzt gleich? Du bist natürlich eingeladen.«
    Flirtete die mit ihr? Ging das so zu bei Lesben? Konnten die durchs Telefon spüren, dass man selbst... also wieder diese X-Wellen? »Ah... okay«, sagte Dora. In zehn Minuten im Mensacafé, »du erkennst mich sicher auch ohne dass ich eine rote Rose oder einen Roman von Simone de Beauvoir in der Hand halte.«
    Simone. Den Namen hätte sie jetzt nicht nennen dürfen, Dora wurde rot. Immerhin klang diese Ariane für eine Kampflesbe ziemlich charmant.

    *

    Das bin nicht ich, dachte Madeleine Vulpius und zwang sich, auf den Straßenverkehr zu achten. Ich bin nichts weiter als ein Bündel Triebe, der einer Stimme hörig ist. Mein Verstand sträubt sich vergebens, er hat das unendlich Ordinäre in dieser Stimme registriert, analysiert, dieses »Komm sofort zu mir, du kleine scharfe Schlampe«, das Bergengruen ihr ins Ohr gezirpt hatte, aber der Körper war sofort darauf reingefallen, abrupter überproportionaler Hormonausstoß, spontane Produktion von Scheidensekret. Sie hatte ihrer Sekretärin im Vorbeigehen noch zugerufen, sie sei heute Vormittag nicht zu erreichen, sie hatte Lars auf den Nachmittag vertröstet, dann ohne Umwege zum Parkplatz, zum Auto – zu IHM.
    Sie parkte den Wagen direkt vorm Haus, wollte aussteigen, blieb aber sitzen und starrte durch die Scheibe. Verdammt, warum war ihr Geist schwächer als ihr Fleisch? Sie machte ein Experiment, ja. Einen Selbstversuch, okay. Sie gab sich einem Mann hin, vor dem sie sich ekelte, keine Frage. Sie ließ sich von ihm aus Gründen wissenschaftlicher Erkenntnis erniedrigen. Sie rang sich sogar zu einem Orgasmus durch, alles nur, um die Ergebnisse ihres Selbstversuchs zu verfälschen. Das stand fest. Das alles war eine große Lüge.
    Und die Wahrheit? Sie war geil auf diesen Kerl. Sie saß hier rum und dachte nach, warum stieg sie nicht endlich aus und ließ sich durchnehmen? Deshalb war sie doch hergekommen, oder? Von wegen Wissenschaft, von wegen Erkenntnis! Sie wollte, dass er es ihr richtig besorgte. Also steig endlich aus, du blöde Kuh, wahrscheinlich steht er schon am Fenster und fragt sich, warum du nicht endlich hochkommst.

    *

    In Schifflers Wagen war Lars wieder zu sich gekommen. Mein Gott, er hatte ihm alles erzählt, ausgerechnet dem! Ein Moment der Schwäche und er petzte, wie es kleine Kinder tun. Er warf dem Professor einen verstohlenen Seitenblick zu, es wurde nicht gesprochen, Schiffler lenkte sein Auto ruhig durch den morgendlichen Verkehr.
    Und was sollte das jetzt? Ertappen der Delinquentin in flagranti? Frau Professor, wie sie pudelnackt und entsetzt aus dem Bett ihres hässlichen Beschälers springt? Lächerlich. Ihnen würde kaum etwas anderes übrigbleiben, als vor Bergengruens Wohnung abzuwarten. War sie schon dort? Wann würde sie wieder gehen? In welchem Zustand?
    »Das mit der Stimme ist hochinteressant«, ließ sich Schiffler jetzt vernehmen, als sie den Berufsverkehr endlich hinter sich gelassen hatten und in ruhigere Gefilde gekommen waren. »Meines Wissens existieren dazu kaum Forschungsergebnisse. Worüber promovieren Sie eigentlich, lieber junger Kollege?«
    Die Frage kam so überraschend, dass Lars einige Sekunden für die Antwort brauchte. »Über die Abhängigkeit von Indikatoren erotischer Attraktivität von historischen und allgemeinkulturellen Parametern«,

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