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Die Vermessung der Lust (German Edition)

Die Vermessung der Lust (German Edition)

Titel: Die Vermessung der Lust (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catrin Alpach
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sagte Lars leise. Schiffler lächelte und nickte. »Aha, sehr schön. Das Rubens'sche Vollweib als Schönheitsideal und wie es von magersüchtigen Supermodels abgelöst wurde.« »Ja, kommt auch vor«, bestätigte Lars.
    Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Schiffler war ein gehässiger, zynischer älterer Mann, als Wissenschaftler mittelmäßig und Madeleine Vulpius haushoch unterlegen. Wahrscheinlich witterte er eine reelle Chance, der Kollegin und Konkurrentin um die finanziellen Futtertröge zu schaden. Und er, Lars, half ihm dabei auch noch. Die Situation wuchs dem Doktoranden langsam, aber sicher über den Kopf.
    Der Wagen von Madeleine Vulpius stand vor dem Haus, Schiffler parkte den seinen in einiger Entfernung, stellte den Motor ab und atmete hörbar aus. »So«, sagte er dann. »Zweiter Stock?« Lars nickte. Seine Scham, seine Verwirrung waren wachsender Panik gewichen. Er musste handeln, wusste aber nicht wie.
    »Was haben Sie vor?«, fragte er und verfluchte seine Stimme, die in der hohen, vibrierenden Tonlage eines vom Wetzen der Schlachtmesser aufgeschreckten Huhns klang. »Beobachten«, antwortete Schiffler mit unbewegter Miene. »Die Auswirkungen sexueller Erfüllung manifestieren sich in Gang und Gestik. Wie wird die Kollegin das Haus verlassen? Konzentrieren Sie sich auf Ihren Gesichtsausdruck. Wirkt er gelöst oder angespannt? Kommt es zu unkontrollierten Zuckungen, Handbewegungen? Wie werden eingeübte, längst automatisierte Tätigkeiten wie etwa das Aufschließen des Wagens ausgeführt? Haben Sie Schreibzeug dabei? Machen Sie sich Notizen.« Lars wurde schwarz vor Augen.

    *

    Konrad Vulpius hatte lange auf dem Stuhl an der Terrassentür gesessen und nach draußen geschaut. Vögel flogen von Ast zu Ast, etwas Wind war aufgekommen, alles blühte zaghaft. Jetzt erhob er sich und schlurfte in die Küche. Dort blieb er mitten im Raum stehen und überlegte, was er tun sollte. Kochen natürlich. Aber was hieß »natürlich«? Nichts war mehr natürlich. Madeleine betrog ihn, sie hatte nach Betrug gerochen. Das Mädchen am Gemüsestand ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Woher kannte sie seinen Namen? Warum hatte sie ihn angelächelt, mehr als es in Geschäften üblich war, anders auch, intimer, vertrauter, so als teilten sie ein Geheimnis?
    Gut, er war ein alter, impotenter Mann. Am ersten Attribut ließ sich nichts ändern, leider, das zweite konnte man mit den blauen Pillen bekämpfen. Es gab viele Männer seines Alters, die sich blutjunge Geliebte hielten und sei es nur zum stillen Betrachten ihrer entzückenden Nacktheit und zum Reden. Wieso nicht er? Man könnte ihr eine kleine Wohnung mieten, sie mit Geschenken erfreuen. Einmal pro Woche, vielleicht auch nur einmal im Monat, an jedem dritten Mittwoch oder vierten Donnerstag. Es konnte auch sein, dass er gar nicht impotent war, vielleicht erregte ihn der Sex mit Madeleine einfach nicht mehr.
    Ein Gedanke, den er wie eine lästige Fliege verscheuchen wollte, der aber standhaft in ihm blieb. Wäre doch normal nach fünfundzwanzig Jahren Ehe, oder? Fünfundzwanzig Jahre, in denen sie ihm Orgasmen vorgetäuscht hatte, sich nicht einmal die Mühe gebend, es einigermaßen überzeugend zu tun. Immer dieses »ah, ah«, es hatte ihn genervt, ja, das gab er sich zu, unheimlich genervt, wenn man genau wusste, jetzt macht sie wieder »ah, ah«.
    Doch, er liebte sie und das würde immer so bleiben. Er war ihr Beschützer, er umsorgte sie, gab ihr Geborgenheit oder zumindest jene Normalität, die sie brauchte. Das war doch mehr als nichts. Es war aber nicht alles, diese Erkenntnis kam über ihn wie ein unerhörtes Ereignis.
    Ihn überkam der Drang, die junge Frau zu berühren, einfach so, um festzustellen, wie es ihn berührte. Schon einmal hatte er eine junge Frau für sich gewonnen, fünfundzwanzig Jahre jünger. Diese hier war wohl fast ein halbes Jahrhundert jünger – na und? Das machte keinen wirklichen Unterschied. Die modernen Zeiten verstand Konrad Vulpius sowieso nicht mehr. Konnte doch sein, dass die jungen Mädchen von heute alle einen Großvaterkomplex entwickelt hatten, wegen dem Internet wahrscheinlich, wo in Chats ältere Männer zwanglos mit Jugendlichen verkehrten.
    Er stand auf, zog seine Jacke an und verließ das Haus.

    *

    Das war definitiv einer der Jobs, bei denen man Plattfüße bekam. Sonst war er okay. Die Leute freundlich, »alles Stammkunden«, hatte der Besitzer versichert, die Atmosphäre angenehm. Und als die Schicht

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