Die Vermessung der Lust (German Edition)
in Bergengruens Stimme verhieß geilen Sex und war in der Lage, all die unzähligen Indizien dafür, dass man mit Bergengruen alles andere als geilen Sex haben würde, beiseite zu schieben. Und siehe da, der Besitzer der Stimme wusste dies zu bestätigen. Er war einfach ein Gott im Bett.
Jetzt hockte sie in ihrem Büro und gab sich den Seltsamkeiten ihrer Umgebung hin. Konrad, Lars und Dora nicht an ihren Plätzen. Sie selbst, das Zentrum von allem, tief in verzwickten Gedanken. Sie roch zudem nach Fichtennadelschaumbad und hoffte, dass weder Konrad noch die Doktoranden es mitbekommen würden.
Schritte auf dem Flur, das war Lars, sie musste nicht hinschauen. Er ging an ihrer offenen Tür vorbei, warf einen kurzen Blick ins Zimmer, drehte den Kopf sofort weg, ging weiter. Seltsam. Nicht einmal ein Gruß. Mehr als seltsam.
Sie hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Mit Konrad reden, mit Konrad nicht reden? Interessierte es ihn überhaupt, ob sie mit einem anderen schlief? Es war doch nichts, nur Sex. Was war schon Sex. Austausch von Körperflüssigkeiten, das gegenseitige Produzieren ganz angenehmer Gefühlslagen und eines sehr kurzen eruptiven biochemischen Vorgangs, den man Orgasmus nannte. Mehr war Sex nicht, schon gar keine Liebe. Sie liebte Konrad, Punkt. Warum dachte sie das aber mit einem Komma?
*
Dora hatte keine Lust, den Nachmittag im Büro abzusitzen. Es gab genug Überstunden, die sie nie würde abfeiern können. Also saß sie am Rand des Brunnens in der Nähe der Bibliothek, lauschte den Wasserspielen mit geschlossenen Augen und genoss die milde Wärme auf der Gesichtshaut, hinter der die Gedanken und Bilder rasten.
»Wenn du das erste Mal mit einer Frau zusammen bist«, hatte ihr Ariane geraten, »dann stell dir einfach vor, sie wäre dein Lieblingsschmusetier. Kein panischer Aktionismus wie bei einem Mann! Du musst keine Angst haben, dass ihr das Vorspiel überzieht und das gute Stück dann beim Hauptteil frühzeitig Feierabend macht. Frauen haben sehr viel Zeit. Und brauchen sie auch.«
Klang logisch. Sie würden alle Zeit der Welt haben, schmusen und küssen, sich zärtlich liebkosen, ihre Körper zentimeterweise erforschen, mit allen Sinnen. »Hast du jemals mit einem Mann...?« Die Frage war ihr so rausgerutscht. Ariane lachte. »Natürlich. Wenn du mit vierzehn entdeckst, dass du auf deinesgleichen abfährst und Jungs nichts weiter sind als Lebewesen, aus denen Fußballergebnisse und dreckige Witze kommen, hältst du dich auch erst einmal für krank. Nicht normal halt. Also ziehst du mit sechzehn einen Jungen ins Bett und hoffst, dass er dich gesund macht. Danach war ich tatsächlich gesund. Aber anders. Es war, als würde man auf einen verspäteten Zug warten und hätte nicht einmal ein Buch dabei, um sich die Zeit zu vertreiben. Tödliche Langeweile. Und wenn dann der Zug endlich kommt, steigt man gar nicht erst ein, sondern geht auf einen anderen Bahnsteig. Und genau da bin ich hin. Und seitdem kommen die Züge immer pünktlich. Und wie!«
Dora hatte dieses Bild gefallen, sie hasste es ebenfalls, ihre Zeit mit Warten zu verplempern. Sie öffnete die Augen und registrierte die Menschen, die an ihr vorbeigingen. Jungs: doch, einige hübsche darunter. Sich vorstellen, man läge mit ihnen nackt im Bett. Prickelte es? Überschaubar. Mädchen: Wesen mit zartem Fleisch, das sich gegen das eigene schmiegte, an ihm rieb, bis die Hitze kaum noch zu ertragen war. Oh ja, es prickelte.
Sie stand auf und schlenderte Richtung Institut. Vor ihr gingen zwei Männer, Lars erkannte sie sofort, Schiffler mit Verzögerung. Was hatten die miteinander zu schaffen? Arbeitete Lars etwa als Schifflers Spion bei Madeleine Vulpius? Nein, ausgeschlossen, das traute sie ihm nicht zu. Wahrscheinlich waren sie sich zufällig über den Weg gelaufen. Sie redeten auch nicht miteinander.
Dora blieb stehen und wartete, bis die beiden Männer im Gebäude verschwunden waren. Dann ging sie weiter, betrat das Institut, benutzte die Treppe und nicht den Fahrstuhl, ging den Flur entlang, am Büro der Professorin vorbei, in das sie automatisch einen Blick warf und Madeleine Vulpius ein kurzes Kopfnicken schickte. Die regierte nicht, sie starrte geradeaus, als sei Dora ein transparentes Nichts. Sie grübelt, dachte Dora, und ging weiter.
Lars tat so, als arbeite er. Kein Wort fiel. Sie setzte sich an ihren Platz und tat ebenfalls, als würde sie arbeiten. Auf ihrem Handy, das sie im Büro zurückgelassen hatte, waren
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