Die Vermessung der Lust (German Edition)
verlangen, für erbrachte Leistungen im Bett, zwei phänomenale Orgasmen und ein Schmerzensgeld für die seelische Grausamkeit, mit der ihn Madeleine Vulpius und ihre beiden Schergen hier behandelten.
»Nun?«, unterbrach Schiffler Bergengruens finstere Gedankengänge, »erzählen Sie nur frisch drauf los, in eigenen Worten, achten Sie nicht auf die Chronologie, wir basteln uns das schon zusammen.«
Und Silvio erzählte. Dass er der Professorin ein Gedicht rezitiert hatte, von dem er nun durch Schiffler erfuhr, es handele sich um eine Ballade eines gewissen Theodor Fontane, von seiner in langen Jahren käuflicher Liebe entwickelten Sexualtechnik, eine Art Missionarsstellung für Fortgeschrittene, von seiner Stimme natürlich auch, die Madeleine Vulpius aufgenommen habe wie eine Droge.
Während er dies tat und die Bilder des Beischlafs gegenwärtig waren, Madeleines Körper und die unendliche Lust in ihren Augen, war eine andere Abteilung seines Gehirns – man könnte sie die Buchhaltung nennen – damit beschäftigt, jene Summe zu errechnen, die Bergengruen vom psychologischen Institut nötigenfalls vor dem Bundesgerichtshof einklagen würde. Welchen Geldwert hatte ein Orgasmus? War das irgendwo geregelt? Gab es eine Gebührenordnung oder mussten solche Summen wie im Puff frei ausgehandelt werden? Wie entschädigte man arglistige Täuschung, das brutale und herzlose Spiel mit den Gefühlen eines verliebten Mannes?
»Schön«, sagte Schiffler, als Bergengruen seine Erinnerungsarbeit beendet hatte, und erhob sich. »Sie haben Ihre Sache recht ordentlich gemacht, die Wissenschaft ist Ihnen zu Dank verpflichtet.« Dann nickte er Lars zu, der sich nun ebenfalls erhob, beide gingen zur Tür und verließen die Wohnung.
»Geht euch FICKEN!«, zischte Bergengruen, als er am Fenster stand und die beiden Männer ins Auto steigen sah. Er würde es dieser Schlange heimzahlen. Vielleicht war ja das Experiment noch nicht zu Ende und die Alte würde bald wieder wie eine läufige Hündin vor seiner Wohnungstür um Besamung winseln. Dann aber... Ich werde dir den ekligsen Sex deines Lebens bescheren, dachte Bergengruen mit sinistrer Vorfreude, du wirst dein Leben lang mit Schrecken an diesen Tag zurückdenken, deine Triebe und deine scheiß Wissenschaft verfluchen!
Er ging aufs Klo, denn dies war der Ort, an dem er am besten grübeln und Pläne schmieden konnte. Nach einer guten Stunde war er fertig und verließ den stillen Ort mit einem diabolischen Lächeln.
Eine Gewissensfrage
Als Madeleine das Institut betrat, fühlte sie sich seltsam befreit, als wären Ketten, die sie nie zuvor gespürt hatte, von ihr abgefallen. Das Doktorandenzimmer war leer, auch das war seltsam. Sie ging in ihr Büro, setzte sich in den Drehstuhl und drehte hin und her, was sie noch nie zuvor einfach so aus Spaß getan hatte. Jetzt tat es ihr gut.
Sie rief zu Hause an, doch Konrad ging nicht an den Apparat. Auch seltsam. Um diese Zeit schaute er fern. Hatte sich die Welt verändert, weil Madeleine Vulpius sich verändert hatte? Und – hatte sich Madeleine Vulpius überhaupt verändert? Preisfrage.
Auf der Fahrt zurück zum Campus war ihr eingefallen, dass es interessant sein würde, den Spieß umzudrehen und die Attraktivität von Frauen auf Männer in den Blick ihrer Forschungen zu nehmen. Nicht gleich, oh nein, aber vielleicht später. Was fand jemand wie Bergengruen an ihr attraktiv? Überhaupt etwas? Oder hätte er auch eine Gummipuppe mit dem Stempel »Professorin« begattet?
Frauen, das war ein Zwischenfazit ihrer Untersuchungen, dachten, wenn sie Männer begutachteten, genauso an Sex wie Männer, wenn diese Frauen musterten. Zugegeben, Männer hatten es dabei leichter, da die primären Geschlechtsmerkmale bei Frauen im wahrsten Sinne herausragend waren (Brust, Taille, Po, Beine), während sie bei Männern normalerweise nicht hervorragten, sondern hinter Hosenstoff vor sich hin hingen. Auch gab die Größe männlicher Geschlechtsorgane nur unzulängliche Hinweise auf ihre Qualitäten. Was zählte, war die Technik ihres Einsatzes.
Um aber von den nicht vorhandenen oder lediglich angedeuteten Geschlechtsmerkmalen auf die tatsächliche Leistung schließen zu können, brauchten Frauen eine hohe Befähigung zur Abstraktion. Sie zogen aus sekundären Signalen Rückschlüsse auf die sexuelle Leistungsfähigkeit. Die Stimme gehörte dazu.
War dies die einfache Antwort auf die Frage, die in Madeleine Vulpius ohne Unterlass gestellt wurde? Etwas
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