Die Vermessung des Körpers
gibt, laut zu fluchen, wenn wir uns selbst wehtun. Bei einem Vergleich der Wirkung von Flüchen und der Wirkung von gewöhnlichen Wörtern stellte sich heraus, dass laut geschriene Schimpfwörter sowohl die Schmerztoleranz erhöhten als auch den tatsächlich empfundenen Schmerz verringerten. Den Ergebnissen der Studie zufolge trat dieser erleichternde Effekt bei Männern mit einer Neigung zum »Katastrophisieren« nicht ein. Da sich dieser Begriff im Wörterbuch nicht findet, bin ich nicht ganz sicher, was die Wissenschaftler damit ausdrücken wollten – ich kann nur vermuten, dass leicht hysterische Personen gemeint sind.
Die Schlussfolgerung der Studie jedenfalls war, dass Fluchen die Verbindung zwischen der Angst vor Schmerzen und dem eigentlichen Schmerzempfinden unterbrach und so das selbst verursachte Leiden reduzierte. Ob Fluchen nun hilft oder nicht – wenn Sie sich einen Tropfen Ihres Blutes anschauen möchten, ist damit ein Minimum an Leiden verknüpft.
Eine lebende Flüssigkeit
Blut ist etwas ganz anderes als ein lebloses Haar. Zweifellos weist es eine Aktivität auf, die das Haar nicht an den Tag legt. Dennoch ist es nicht leicht zu sagen, wo genau man die Grenze zwischen etwas Totem und etwas Lebendigem ziehen soll. Auf atomarer Ebene unterscheidet sich das Blut keinesfalls vom Haar oder, wenn man so will, von einem Stein. Der spezifische Atom-Mix mag zwar unterschiedlich sein – zum Beispiel findet sich im Blut eine signifikante Menge Eisen –, aber beide bestehen aus Ansammlungen von Atomen in Gestalt zahlreicher Moleküle. Und doch sind das »lebende« Blut und das tote Haar irgendwie verschieden.
Zu unterscheiden, ob etwas lebendig ist oder nicht, ist eine überraschend anspruchsvolle Aufgabe. Bevor Sie weiterlesen, versuchen Sie einmal, mindestens sechs Dinge aufzuzählen, die etwas Lebendiges von etwas Leblosem unterscheiden.
Einst glaubte man an die Existenz einer »Lebenskraft«, einer besonderen Form von Energie, die lebenden Dingen innewohnt, bei toten hingegen nicht vorhanden ist. Eine solche Energie konnte man jedoch nie ausfindig machen. Deshalb nimmt die Lebenskraft-Theorie heute auch niemand mehr ernst – abgesehen von den Pseudowissenschaften und als Metapher (»Sie ist heute wieder voller Energie«).
Lebenszeichen
Stattdessen suchen die Biologen nach sieben Anzeichen, wollen sie bestimmen, ob etwas lebendig ist oder nicht, auch »Lebensprozesse« genannt. Leben definiert sich nämlich eher durch das, was es tut, statt dadurch, was es ist. Diese sieben Prozesse sind:
Bewegung – selbst Pflanzen bewegen sich; beobachten Sie einmal, wie sich eine Sonnenblume mit der Sonne dreht.
Ernährung – die Aufnahme von etwas, um Energie zu erzeugen, ganz gleich, ob es sich dabei nun um Pflanzen, Tiere oder Sonnenlicht handelt.
Stoffwechsel – der Vorgang, bei dem Energie aus der »Nahrung« gewonnen wird und der häufig, aber nicht immer, Sauerstoff einschließt.
Ausscheidung – das Loswerden von Abfallstoffen.
Reproduktion – neue Kopien von sich selbst machen (oft mit Variationen), um das Überleben der Spezies zu sichern.
Sinneswahrnehmung – eine gewisse Interaktion mit der Umgebung, meist durch die Wahrnehmung von Energie.
Wachstum – zwar keine lebenslange Konstante, aber alles Lebendige wächst irgendwann in seiner Entwicklung.
Auf der Ebene von Organismen – also Pflanzen oder Tieren – gilt die simple Regel, dass etwas nicht lebendig ist, solange nicht diese sieben Prozesse stattfinden. Bekommt man alle sieben zusammen, hat man wahrscheinlich einen Gewinner vor sich. Doch selbst dann ist die Unterteilung in tot oder lebendig nicht immer vollkommen eindeutig. Nehmen wir nur den Virus, durch welchen Sie vor einiger Zeit diesen lästigen Schnupfen bekamen. Man könnte einen Virus als einzelliges Lebewesen betrachten. Es gibt viele Dinge mit nur einer Zelle, die definitiv lebendig sind, Bakterien zum Beispiel. Doch in Sachen Reproduktion versagt der Virus.
Nicht, dass sich Viren nicht fortpflanzen würden – es ist gerade ihre Reproduktion, die Ihrem Körper Schwierigkeiten bereitet. Doch sie tun es, indem sie sich die Mechanismen ihrer Wirtszellen zunutze machen. Wenn Sie sich einen Virus einfangen, ist es in gewissem Sinne Ihr Leben, das den Virus reproduziert, und nicht das Leben des Virus selbst. Viele Biologen, wenn auch nicht alle, betrachten Viren nicht als lebendig, und manchmal ist es gerade dieser »Mangel an Leben«, der es so schwierig macht, sie wieder
Weitere Kostenlose Bücher