Die Vermessung des Körpers
Liebhaber »probiotischer« Getränke und ähnlicher Produkte traurig machen wird: Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass die Aufnahme »freundlicher« Bakterien eine positive Wirkung hat. Auf diese Weise aufgenommene Bakterien leisten nur einen sehr geringen Beitrag zur hauseigenen Fauna. Wahrscheinlich gibt es zwar eine psychologische Wirkung (zum Placeboeffekt siehe S. 266), doch sind diese freundlichen Bakterien keine echte Hilfe.
Ein nützliches Anhängsel
Bakterien spielen auch eine Rolle in der Geschichte des vermutlich am meisten verkannten Teils Ihres Körpers: dem Blinddarm. Wenn Sie Ihren Blinddarm noch besitzen, fragen Sie sich wahrscheinlich, wozu er eigentlich gut ist. Schließlich geht mit dem Blinddarm manchmal etwas schief, und eine Entzündung kann sogar lebensbedrohlich sein. Dabei scheint er keine besondere Aufgabe zu erfüllen. Und ganz sicher macht er evolutionär keinen »Sinn«. Angenommen, dass der Mensch schon sehr lange einen Blinddarm hat, warum istdieser dann nicht längst verschwunden, wo er doch vollkommen nutzlos ist?
Erst vor relativ kurzer Zeit wurde entdeckt, dass der Blinddarm durchaus nützlich ist, und zwar für den Bakterienhaushalt unseres Körpers. Die Bakterien verwenden ihn als eine Art Ferienhaus; als Rückzugsbereich, wo sie vom Stress ihrer Arbeit im Darm ausspannen können. Der Appendix bietet einen Ort, wo sich die bakteriellen Bewohner des Darms vermehren und in Form halten. Also ist der Blinddarm nicht ganz so nutzlos wie traditionell angenommen.
Es erscheint jedoch seltsam, dass die Bakterien in Ihrem Körper, selbst die im Blinddarm, nicht von den biologischen Verteidigungssystemen weggeputzt werden. Weiße Blutkörperchen produzieren unablässig Antibiotika, Proteine, deren Aufgabe es ist, sich an Eindringlinge zu heften und diese kampfunfähig zu machen. Das ist der Grund, warum die Transplantationschirurgie eine so knifflige Angelegenheit ist: Der menschliche Körper neigt dazu, vollkommen harmlose menschliche Zellen abzustoßen, nur weil es nicht seine eigenen sind. Doch durch Mechanismen, die man nicht ganz versteht, scheinen all diese Bakterien in der Lage zu sein, den Aktivitäten der Antikörper zu widerstehen.
Eine weitere Überraschung war die ebenfalls jüngere Entdeckung, dass der Blinddarm riesige Mengen an Antikörpern enthält. Einige davon heften sich an Bakterien, die ihren Weg in den Darm finden, doch in einer hilfreichen, nicht zerstörerischen Weise. Der häufigste Antikörper im Darm, der auch im Blinddarm in großer Anzahl vorkommt, ist der sogenannte IgA. Dieser heftet sich an die Darmbakterien, jedoch nicht, um sie zu töten. Vielmehr bildet er eine stützende Struktur, die es dem Bakterium ermöglicht, an seinem Platz zu bleiben und im Darm zu florieren, anstatt ausgeschieden zu werden wie verdaute Nahrung. Ihre Antikörper gehen den nützlichen Darmbakterien also hilfreich zur Hand.
Der Name IgA ist das Kürzel für Immunglobulin A. Es gibt riesige Mengen solcher Proteine – große, komplexe Moleküle, die im Körper produziert werden und als chemische Schwerstarbeiter dienen.Anfangs gab man ihnen noch nüchterne und ernsthafte Namen wie Immunglobulin, doch mit der Zeit entwickelte sich eine Tradition, die Namensgebung möglichst flapsig zu gestalten. Daher gibt es Proteine mit Namen wie Sonic Hedgehog, Pokemon, Seahorse Seashell Party, Dickkopf, R2D2, Homer Simpson, Glass Bottom Boat und – mein Favorit – Abstinence by Mutual Consent (Abstinenz in beidseitigem Einvernehmen).
Bakterien kennen keine Fünf-Sekunden-Regel
Bakterien (und Viren) sind natürlich nicht immer gut für Sie. Manche Krankheiten sind zwar genetisch bedingt oder bewegen sich im Rahmen normaler körperlicher Ausfälle, doch die meisten werden durch bestimmte Typen dieser winzigen Eindringlinge hervorgerufen. Eine alte Hausfrauenregel, die wir mit unserem Wissen über Bakterien abgleichen wollen, ist die Fünf-Sekunden-Regel. Diese besagt, dass, wenn einem ein Nahrungsmittel auf den Fußboden fällt, man es innerhalb von fünf Sekunden aufheben soll; dann kann man es noch bedenkenlos verzehren. Offensichtlich reicht diese Regel bis in die Zeiten Dschingis Khans zurück, als sich die Leute noch nicht so große Gedanken darum machten, was sie aßen – allerdings hätte sie damals eher Zwölf-Stunden-Regel geheißen. Eine amerikanische Highschool-Schülerin untersuchte diese Fünf-Sekunden-Regel während eines Sommerkurses an der örtlichen Uni unter modernen
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