Die Vermessung des Körpers
zwischen 20 000 und 25 000 Genen – eigentlich nicht besonders viel, um ein menschliches Wesen umfassend zu definieren, also könnte es gut sein, dass diese Rolle nicht allein den Genen überlassen bleibt. Wenn man ein Biologiebuch liest, denkt man irgendwann vielleicht, Gene seien alles, was man braucht, doch seit den Achtzigerjahren geht man verstärkt davon aus, dass unser Körper wesentlich komplexer aufgebaut ist.
Jenseits der Gene
Das Geheimnis liegt in zwei Konzepten, die in den Bereich der Epigenetik fallen – der Erforschung jener Instruktionen, die außerhalb der Gene kodiert sind. Eines dieser Konzepte besagt, dass Gene nicht pausenlos am Werk sind, sondern an- und ausgeschaltet werden können. Sehr häufig geschieht dies durch Methylierung. Hierbei wird eine zusätzliche Molekülgruppe – die Methylgruppe (einfach ein Kohlenstoffatom mit drei Wasserstoffatomen) – an eine der Basen geklebt, welche die Tritte der DNS-Wendeltreppe bilden. Diese kleinen molekularen Kleckse fungieren als Markierung, um zu steuern, wie ein Gen verwendet oder eben ignoriert wird.
Das andere, was man wissen muss, um ein besseres Verständnis davon zu bekommen, wie sich der Körper selbst aufbaut, liegt in jenen riesigen DNS-Molekülen. Wenn Sie hören, dass Sie weniger Gene besitzen als, sagen wir, eine Reispflanze, dann ist das ein bisschen erniedrigend. Natürlich kommt den Genen eine wichtige Funktion dabei zu, die Proteine zu spezifizieren, die Ihr Körper produziert. Doch die Gene sind nur ein winziger Teil Ihrer DNS. Um die 3 Prozent, um ganz genau zu sein. Die anderen 97 Prozent hielt man ursprünglich für Müll – »Abfall-DNS«, Überbleibsel vergangener Stufen der Evolution. Diese Annahme war jedoch völlig falsch.
Ein Großteil dieser Extra-DNS hat sehr wichtige Funktionen. Eine davon ist es nicht, Baupläne für Proteine zu liefern, sondern festzulegen, wie RNS produziert wird, eine mit der DNS verwandte Verbindung, die aber nur einen einzigen Rückgrat-Strang besitzt. RNS kommt zum Einsatz, wenn nach Gen-Vorlagen Proteine gebildet werden. Tatsächlich erzeugt das Kontrollprogramm des Genoms eine Form aus RNS, in der das Protein aufgebaut wird – die RNS dient demnach als eine Art Botschafter.
Früher dachte man, die von der Abfall-DNS produzierte RNS wäre nutzloser historischer Ballast, doch zeigt es sich, dass diese RNS ihren eigenen Wert besitzt. So stellt sie viele der Kontrollmechanismen, mit denen Gene an- und ausgeschaltet werden. Daneben hat sie noch andere Funktionen, die ebenso wichtig sein können wie die verschiedenen Aufgaben von Proteinen. Plötzlich ist aus dem relativ kleinen Bereich mit gerade mal 20 000 Genen ein enormes Forschungsgebiet geworden, bei dem die gesamte DNS untersucht werden muss.
Die Botschaft lautet hier, dass man in die Gene häufig viel zu viel hineininterpretiert. Die Epigenetik zeigt, warum nicht die Gene allein eine Blaupause für menschliche Wesen liefern. Aufgestachelt von der Idee des »egoistischen Gens«, die Richard Dawkins in seinem berühmtem gleichnamigen Buch vorstellt, neigen wir jedoch dazu, die Funktion der Gene überzubewerten. Dawkins’ Buch wurde geschrieben, bevor man die wahre Bedeutung der Epigenetik erkannte (er hat später ein Kapitel zu diesem Thema angefügt). Gene haben keinesfalls ihre Bedeutung eingebüßt, aber wir erkennen nunmehr, dass sie nur einen relativ kleinen Teil des biologischen Kontrollprogramms ausmachen.
Ähnlichkeiten und Unterschiede
Man hört oft, wir seien, genetisch betrachtet, den Schimpansen sehr ähnlich. Es stimmt, dass unsere Gencodes überraschende Ähnlichkeiten aufweisen. Etwa ein Drittel aller Proteine, die danach produziert werden, sind identisch, und der Rest unterscheidet sich großteils nur in einem oder zwei der Basenpaar-Codes. Sie haben ein paar andere Aminosäuren, aber mehr oder weniger dieselben Gene. In der restlichen DNS, die nicht für die Protein-Codes zuständig ist, finden sich indes weitaus größere Unterschiede.
Einer der größten liegt darin, wie wir die RNS-Moleküle modifizieren, die von jenen Teilen der DNS produziert werden, die keine Protein-Codes enthalten. Diese Moleküle können, nachdem sie erzeugt worden sind, auf verschiedenartigste Weise verändert werden. Diesen Prozess bezeichnet man als Editieren. Menschen editieren diese nicht-kodierende RNS stärker als jede andere Spezies, unsere Vettern, die Menschenaffen, eingeschlossen. Dieser Vorgang findet hauptsächlich im Gehirn
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