Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)

wenn die Worte nur richtig interpretiert wurden. Jeder scheinbare Konflikt geht nicht auf das Konto der wissenschaftlichen Tatsachen, sondern auf das des menschlichen Verstehens. Die Bibel mag zwar für Menschen manchmal unverständlich sein und mag auch oberflächlich den Eindruck erwecken, dass sie unseren Beobachtungen widerspricht, aber der augustinischen Auslegung zufolge irrt sich die Bibel nie. Galilei war fromm und meinte nicht, dass er die Autorität hätte, der Schrift zu widersprechen, auch wenn es die Logik ihm nahelegen würde. Viele Jahre später ging Papst Johannes Paul II. so weit, Galilei zu einem besseren Theologen zu erklären als diejenigen, die sich ihm widersetzten.
    Aber Galilei glaubte auch an seine Entdeckungen. In einer abfälligen Bemerkung gegenüber Theologen gab er den vorausblickenden Rat: »Ihr Theologen solltet beachten, dass ihr in eurem Bestreben, aus Behauptungen bezüglich der Unbeweglichkeit von Sonne und Erde Glaubensangelegenheiten zu machen, Gefahr lauft, irgendwann diejenigen als Ketzer zu verurteilen, die erklären würden, dass die Erde stillsteht und die Sonne ihre Lage verändert – irgendwann, sage ich, nämlich zu jener Zeit, zu der möglicherweise physikalisch oder logisch bewiesen wird, dass sich die Erde bewegt und die Sonne stillsteht.« [19]  
    Die christlichen Religionen hielten sich eindeutig nicht immer an eine solche Philosophie, sonst hätte man Galilei nicht eingesperrt und Zeitungen würden heute nicht von Kontroversen über »Intelligent Design« berichten. Obwohl viele praktizierende Gläubige flexible Überzeugungen haben, erweist sich eine starre Interpretation physikalischer Phänomene wahrscheinlich als problematisch. Eine wörtliche Lesart der Schrift ist ein riskantes Unterfangen. Mit der Zeit und in dem Maße, in dem die Technik uns gestattet, neue Größenbereiche abzudecken, werden Naturwissenschaft und Religion sich noch mehr überschneiden, und potentielle Widersprüche können nur größer werden.
    Heute versucht ein bedeutender Anteil der religiösen Weltbevölkerung solche Konflikte durch eine liberalere Interpretation ihres Glaubens zu vermeiden. Diese Menschen berufen sich nicht unbedingt auf eine strikte Auslegung der Bibel oder auf das Dogma irgendeines besonderen Glaubensinhalts. Sie glauben, dass sie die Grundsätze ihres spirituellen Lebens aufrechterhalten, während sie zugleich die Ergebnisse strenger Wissenschaft akzeptieren.
    Physikalische Entsprechungen
    Das Grundproblem besteht darin, dass die Widersprüche zwischen Naturwissenschaft und Religion tiefer liegen als nur in einem spezifischen Sprachgebrauch. Auch wenn man sich nicht um eine wörtliche Interpretation irgendeines bestimmten Textes kümmert, beruhen doch Religion und Naturwissenschaft auf miteinander unvereinbaren logischen Grundsätzen, wenn wir die Tatsache in Betracht ziehen, dass die Religion Fragen in unserer Welt und unserem Leben durch das Eingreifen einer äußeren Gottheit angeht. Göttliche Handlungen – ob diese sich nun auf Berge oder auf Ihr Bewusstsein beziehen – gibt es innerhalb des wissenschaftlichen Rahmens nicht.
    Der entscheidende Gegensatz besteht zwischen der Religion als einer gesellschaftlichen und psychologischen Erfahrung und der Religion, die sich auf einen Gott beruft, der uns oder unsere Welt aktiv durch Eingriffe von außen beeinflusst. Schließlich ist die Religion für manche Menschen eine rein persönliche Angelegenheit. Diejenigen, die diese Auffassung teilen, begrüßen vielleicht die sozialen Verbindungen, die sich daraus ergeben, dass man Teil einer gleichgesinnten religiösen Organisation ist, oder die psychologischen Vorteile, die daraus entstehen, dass man sich selbst als Teil einer umfassenderen Welt sieht. Für Menschen, die dieser Kategorie angehören, hat der Glaube mit seiner Ausübung und mit der Art und Weise ihres Lebens zu tun. Er ist eine Quelle des Trostes und bietet eine gemeinsame Menge von Zielen.
    Viele solcher Menschen betrachten sich selbst als spirituell. Die Religion bereichert ihr Leben – sie bietet Zusammenhang, Sinn und Zweck sowie ein Gemeinschaftsgefühl. Diese Menschen sehen die Rolle der Religion nicht darin, dass sie die Funktionsweise des Universums erklärt. Die Religion spricht ihr persönliches Gefühl von Ehrfurcht und Verwunderung an und kann bei ihren Interaktionen mit anderen und der Welt von Nutzen sein. Viele solcher Menschen würden geltend machen, dass Religion und