Die verratene Nacht
die Tür schob. „Ich habe Sam gerade gesehen und er sagte, dass du wach bist“, erklärte er ohne Einleitung.
Seine leicht schrägen Augen schienen noch tiefer in ihren Höhlen zu liegen, mit Schatten darunter. Seine Haare waren nass, als hätte er sich gerade geduscht, und was sie von seiner olivfarbenen Haut sehen konnte, wies einen feuchten Schimmer auf. Selena wurde der Mund trocken, als sie sah, wie sich die Muskeln unter dem dunklen Hemd abzeichneten, das ihm an Brust und Schultern klebte.
„Jep“, sagte sie. Selena beäugte ihn, während sie versuchte seinen Gesichtsausdruck zu ergründen. Aber der war undurchsichtig. Also sprang sie ins kalte Wasser. „Ich habe dich erwartet. Einen Besuch von dir.“
„Da bin ich mir sicher“, antwortete er sanft und schloss die Tür hinter sich.
„Ich möchte dir danken ... für alles.“ Ihre Stimme überschlug sich und sie blinzelte.
Letzte Nacht ... sie konnte jetzt nicht daran denken. Es war die schlimmste gewesen. Es war so haarscharf nah dran gewesen und sie hatte wie noch nie zuvor um ihr Leben gebangt. Wenn er nicht da gewesen wäre ... wenn er sie nicht zurückgebracht und sich um die Dinge gekümmert und Sammy und Vonnie Lügen erzählt hätte...
„Weiß Vonnie Bescheid?“, fragte er, als er sich auf einen Stuhl neben das Bett setzte.
Nicht auf das Bett. Nicht auf das gleiche Bett, das sie letzte Nacht so gründlich verwüstet hatten. Sie war sich dessen qualvoll bewusst. Gut. Geh auf Distanz. Lass uns das hier so einfach wie möglich gestalten.
Wenn es eine von jenen alten, romantischen DVDs wäre, würden sie jetzt beide höflich um das herum tänzeln, was gesagt werden musste: es zu beenden, ohne jemandem wehzutun. Ohne Peinlichkeiten.
Hoffen wir mal, dass es genau so abläuft.
„Vonnie ... nicht wirklich. Sie weiß nicht über alles Bescheid.“
„Nun, über welchen Teil weiß sie denn nun zum Teufel Bescheid?“ Seine Stimme wurde härter, wurde ein bisschen lauter. „Den Teil, wo du dich alleine ohne eine Waffe nach draußen schleichst? Oder den Teil, wo die verdammten Monster dich halb zu Tode trampeln? Oder weiß sie darüber Bescheid, wie du sie anfasst und dann – was? – tötest? Zähmst? Was zum Teufel ist da draußen vor sich gegangen?“
Er schloss die Lippen zu einem harten Strich und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar, was es überall wieder hoch stehen ließ. Und starrte sie wütend an. „Du weißt schon, dass es außer diesem verdammten, warmen Händedruck eine scheißverdammt sicherere Methode gibt, um sie loszuwerden.“
Selena hämmerte das Herz. Wie könnte er denn verstehen? Niemand anders verstand es, nicht nach all den Ganga-Angriffen Jahr um Jahr. Alles, was sie sahen, waren mordlustige, fleischfressende Kreaturen. Niemand außer Vonnie. Und nicht einmal die begriff es wirklich ganz. Sie verstand nicht, was Selena tun musste.
Warum?
„Theo“, sagte sie und zwang sich zu lächeln. „Letzte Nacht war ... nun, ich wünschte, du hättest das nicht gesehen. Es ist furchterregend und nicht zu verstehen, und es ist vielleicht das Beste, wenn du es einfach vergisst. Es wird nicht wieder vorkommen und alles ist gut ausgegangen. Letztendlich. Danke.“
Jetzt wurde sein Gesicht finster und eine Minute lang hatte sie fast Angst. „Für was für einen Volltrottel hältst du mich denn?“, sagte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch.
„Ich halte dich nicht für einen Trottel, Theo“, sprach sie besänftigend und versuchte ihre Verzweiflung zu verbergen. Das hier lief nicht gerade gut. „Aber es ist wirklich nichts, worum du dir Sorgen zu machen brauchst.“ Sie befeuchtete sich die Lippen. „Schau, Theo, es gibt überhaupt keinen Grund für dich, noch hier zu bleiben, jetzt wo es dir gesundheitlich gut geht – Herrgott, du hast nicht einmal eine Wunde mehr. Du wirst wieder nach Envy oder wohin auch immer aufbrechen und in dein normales Leben zurückkehren. Und bitte ... ich bitte dich ... vergiss das hier. Es ist nichts.“
Er stand abrupt auf, seine Bewegungen abgehackt. Anstatt das Zimmer zu verlassen, wie sie erwartet hatte, ging er jetzt auf und ab. Hin und her, vor und zurück. Mit schweren, wütenden Schritten, seine Hand ballte sich zu einer Faust und die andere wischte durch sein Haar. Und dann setzte er sich wieder hin und starrte sie wütend an.
„Lass das blöde Gerede, Selena. Ich weiß, dass du mich gerne dazu relegierst, dein junges, vor Testosteron strotzendes Spielzeug zu sein und
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