Die Verratenen
den anderen auch nicht zu gefallen.
»Es wäre nur gerecht, jeden Liebling zu hängen, den wir in die Finger bekommen!«, ruft eine der älteren Frauen. »Von wegen Verschwendung. Wenn wir sie töten, können sie das Gleiche nicht mit uns tun.«
In Quirins Gesicht tritt ein neuer Zug. Härte. »Nicht diese. Nein. Und wenn es nicht anders geht, dann eben so: Ich beanspruche sie mit dem Recht der Drei, nach dem Gesetz des alten Rates. Sie stehen unter meinem Schutz und dem der Stadt unter der Stadt. Unwiderruflich.«
Es ist mucksmäuschenstill in der Halle. Nicht einmal Blicke werden getauscht, die Menschen starren Quirin an, als hätte er etwas völlig Unerhörtes von sich gegeben.
»So sei es denn«, sagt Sandor schließlich. Es müssen rituelle Worte sein, sie klingen nicht, als kämen sie von ihm.
»Aber selbstverständlich leihe ich sie gern weiterhin an euch aus, wenn ihr Verwendung für sie habt«, erklärt Quirin, nun sichtlich vergnügt. »Die Dienste für mich können warten.«
»Danke«, erwidert Sandor, die Stimme triefend von Sarkasmus. »Ich würde sie gern mit der Arbeit im Freien noch mehr vertraut machen.«
Damit scheint es beschlossene Sache zu sein. Wir werden am Leben gelassen und jeweils demjenigen zugeteilt, der uns gerade braucht.
Quirin wirkt sehr zufrieden, als er die Halle verlässt, Fiore an seiner Seite. In der Tür dreht er sich noch einmal um, fasst mich direkt ins Auge. »Du hast Ausbildung in Sprachen erhalten, stimmt das?«
»Ja, Sprachen waren einer meiner Schwerpunkte. Ich verstehe neunzehn und spreche zwölf, die meisten fließend.«
»Oh.« Quirin strahlt, die Traurigkeit in seinen Augen ist verschwunden. »Dann werde ich bald deine Hilfe in Anspruch nehmen.«
26
Wir werden zurück in den Keller gebracht, alle außer Tomma. Ich weiß nicht, ob meine Wut auf sie stärker ist oder meine Angst um sie.
Während Fleming Dantorians Bein untersucht, das heute von den Prims neu verbunden wurde, starrt Tycho die Wand an. Im schwachen Licht der Laterne wirkt sein Gesicht fast orange. Aureljo setzt sich zu ihm.
»Alles in Ordnung?«
Es dauert untypisch lange für Tycho, bis er antwortet. »Was sie von den Überfällen erzählen … glaubt ihr das?« Er wartet unsere Reaktion nicht ab. »Ich habe heute gemeinsam mit einem Mädchen Boden freigelegt und dabei hat es mir Dinge erzählt … Angeblich entführen wir Prims, um sie in Kohle- und Eisenminen arbeiten zu lassen. Und wer verschleppt wird, kommt nicht wieder, hat sie behauptet. Sie halten ihre Trauerfeiern immer eine Woche nach dem Verschwinden ab, dann ist derjenige für sie tot. Sie wissen, dass er nicht wiederkommt, auch wenn er vielleicht noch jahrelang lebt und schuftet, bis er erfriert oder unter einem einstürzenden Stollen begraben wird.« Er schüttelt den Kopf. »Ich habe ihr nicht geglaubt. Aber nachdem ich eben Yann gehört habe …«
Tychos Gedankengänge könnten meine eigenen sein, trotzdem bin ich auf der Hut. Als Verräter wäre er eine ideale Besetzung. Er ist der Jüngste von uns, aber sein Verstand ist scharf wie geschliffenes Glas. Außerdem er ist trainiert in Emotionskontrolle und er weiß, wie man sein Gegenüber manipuliert.
»Glaubt ihr das?« Tycho stellt die Frage an uns alle, sieht aber mich dabei an. »Dass der Sphärenbund diese Dinge tut, dass er Außenbewohner versklavt? Habt ihr davon jemals etwas mitbekommen, Anzeichen dafür entdeckt?«
Wir verneinen, einer nach dem anderen. Allerdings muss ich zugeben, dass ich bei vielem auch nicht nachgefragt habe. Wer, zum Beispiel, in den Bergwerken arbeitet. Oder in den Steinbrüchen.
»Heute gab es einen Moment«, sagt Tycho leise, »da war ich froh, ein Aufgelesener zu sein. Dumm, ich weiß.« Er atmet lautstark ein und wieder aus. »Noch etwas Dummes, wenn wir schon dabei sind: Ich wüsste gerne, von welchem Clan ich abstamme. Aber was, wenn es Scharten sind? Oder Schlitzer? Das Mädchen heute beim Bodenfreilegen hat sich kaum getraut, die Namen in den Mund zu nehmen. Sie haben furchtbare Angst vor denen.«
Wir anderen schweigen. Müdigkeit liegt über unserem Keller wie ein trüber Schleier und Tycho, der wohl auf ermunternde Worte gehofft hat, zieht seine löchrige Decke enger um sich.
Die Situation ist günstig für mich, ideal geradezu. Eine bessere Gelegenheit für eine aufschlussreiche Unterhaltung werde ich so schnell nicht wieder bekommen, ärgerlich nur, dass Tomma nicht hier ist. Aber egal. Sie ist ein Kapitel für sich und ich
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