Die Verratenen
erträglich, ich mache mir eher Sorgen um Dantorians Bein und um Tomma. Ihre Erkältung könnte sich zu einer Lungenentzündung auswachsen, dafür haben wir keine Medikamente.«
Er schweift vom Thema ab, ist das Absicht?
»Was hältst du von Aureljos Idee, uns in eine Sphäre zu flüchten?«
Fleming verschränkt die Finger. »Gar nichts. Tut mir leid, Aureljo. Aber dein Vorschlag ist zu vertrauensselig. Du hoffst, dass sie uns erklären werden, was los ist. Aber was, wenn nicht? Dann bekommst du eine Betäubungsspritze in den Hals, bevor sie dir Gift injizieren und es entweder wie einen genetischen Fehler oder wie Selbstmord aussehen lassen.«
Ich bin nicht die Einzige, die Fleming fassungslos anstarrt. Hat er das, was er da schildert, schon mal erlebt? Oder will er uns nur Angst machen?
»Heißt das, du schließt dich Tycho an? Abwarten?«
»Ja. Vermutlich. Ich weiß, ich war zu Beginn anderer Meinung, aber ich will auf keinen Fall in die Sphären zurück. Und hier sind wir wenigstens nicht unmittelbar bedroht.« Damit rollt er sich auf dem Boden zusammen und zieht sich die Decke bis fast über den Kopf.
Ich lege mich ebenfalls hin. Mein Plan hat nicht funktioniert, ich sehe kein Stück klarer. Außer Aureljo will uns keiner in die Fänge des Sphärenbundes zurückschicken. Ausgerechnet er, obwohl ihm klar sein muss, dass gerade sein Schicksal an einem haardünnen Faden hängt. Nur er hat einen Sentinel getötet.
Die Nacht schreitet voran, aber Tomma kehrt nicht zu uns zurück, hoffentlich geht es ihr gut. Dennoch muss ich schlafen. Aureljo liegt dicht hinter mir, wärmt meinen Rücken, sein Atem geht beruhigend gleichmäßig. Ich passe meinen eigenen an. Ein. Aus. Ruhig.
Als mein Salvator zu vibrieren beginnt, bin ich gerade eingedöst, und meine erste Reaktion ist Ärger. Warum der Alarm, zum Teufel? Alles ist in Ord–
Dann erkenne ich das Muster. Einmal lang, zweimal kurz.
Mein Herz schlägt hart gegen meine Brust. Vorsichtig, um Aureljo nicht zu wecken, befreie ich meinen Arm Zentimeter für Zentimeter aus der Decke.
Ihr seid tot. Heute haben wir euch begraben. Aber sie suchen trotzdem weiter.
Mit aller Kraft versuche ich, meinen Puls unter Kontrolle zu bekommen. Es hat also eine Trauerfeier gegeben, sechs leere Särge auf dem Podest im Festsaal. Unendlich viele Tränen um Aureljo, da bin ich mir gewiss.
Falls jemand um mich geweint hat, will ich es nicht wissen.
Ich versuche, mir Graukos Gesicht vorzustellen. In dem Moment, als sie ihm die Nachricht überbringen. Dann während der Trauerfeier. Ob er ans Rednerpult getreten ist und etwas gesagt hat?
Wir trauern um Eleria, benannt nach der großen Herrscherin Eleonore von Aquitanien und nach Ariadne, die der Sage nach Theseus half, den Minotaurus zu besiegen. Sie war eine meiner besten Studentinnen.
Hinter meinen geschlossenen Lidern brennen Tränen und ich lasse ihnen lautlos ihren Lauf. Nur einmal, schwöre ich mir, hier und jetzt, in der Dunkelheit. Einmal weinen um meine Vergangenheit, um die Menschen, die ich geliebt habe. Einmal mit denen weinen, denen ich fehle, die um mich trauern, die mich für tot halten.
Aber wenn Grauko zu ihnen zählt, wer schickt mir dann diese Nachrichten? Jemand, der weiß, dass wir noch leben.
Hinter mir regt sich Aureljo im Schlaf, murmelt etwas Unverständliches. Ich halte den Atem an, will ihn jetzt nicht wecken, will denken. In Ruhe.
Wer auch immer mich von unserer Sphäre aus auf dem Laufenden hält, darf sich nicht zu erkennen geben. Bekäme die falsche Person die Botschaften zu Gesicht, würde auch er als Verräter gejagt werden. Oder sie.
Es muss jemand mit technischen Kenntnissen sein – ich weiß zum Beispiel nicht, wie man über die Salvatoren kommuniziert. Aber wieso kontaktiert die Person dann mich und nicht Tycho? Ich bin mit keinem der Techniker besonders eng bekannt.
Natürlich könnte es auch jemand aus dem Medcenter sein. Fleming wusste von der Nachrichtenfunktion und hat sie auch schon genutzt. Spontan fällt mir der Arzt ein, den ich so abfällig behandelt habe. Dann die drei Chirurgen. Aber keiner von ihnen hätte einen Grund, sich meinetwegen in Gefahr zu begeben.
Bleibt eine letzte Möglichkeit: Die Botschaften sind dazu gedacht, uns in eine Falle zu locken. Uns von der Sphäre aus weiterhin zu dirigieren. Deshalb werden sie an mich geschickt – wenn ich sie für glaubhaft halte, bin ich am besten geeignet, die anderen davon zu überzeugen.
Es lässt mir keine Ruhe. Auch am
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