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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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etwas, das jemand weggeworfen hat, hockt mein Angreifer nun neben dem umgestürzten Denkmal. Er verbirgt sein Gesicht hinter den Armen, seine Schultern beben, aber er gibt kein Geräusch von sich.
    Ich war es nicht, möchte ich sagen. Ich wusste bis vor Kurzem nichts von dem, was hier draußen passiert.
    Wem würde diese Erklärung nützen?, höre ich Grauko in meinem Kopf.
    Die Antwort ist ganz einfach: mir, niemandem sonst. Ich würde mich von aller Schuld freisprechen, doch für den Jungen würde sich nichts ändern. Seine Toten bleiben tot.

27
    Auf dem Weg zurück zur Clansiedlung sieht mich Sandor mehrmals prüfend von der Seite an. Mir wäre es lieber, er würde nach Schlitzern, Scharten oder Noraner-Flüchtlingen Ausschau halten, so wie ich. Jeder Schatten, jede Bewegung in meinem Blickfeld versetzt mich in Alarmbereitschaft.
    »Hier.« Sandor drückt mir einen vergilbten Lappen in die Hand. »Drück das auf deinen Arm, sonst legst du eine bildschöne Blutspur für alle, die auf der Suche nach leichter Beute sind.«
    Ich nehme das Tuch entgegen und versuche möglichst unauffällig abzuschätzen, wie viel Schmutz darüber in die Wunde geraten wird. Schon mein kurzer, prüfender Blick reicht, um Sandor verächtlich schnauben zu lassen.
    »Tja, keine angemessene Versorgung für einen Liebling, ich weiß, und ich bin untröstlich.«
    Ohne zu antworten, presse ich das Tuch gegen die schmerzende Stelle am Oberarm. Was ich von Sandor halte, spielt keine Rolle. Eine Blutspur zu legen, ist in jedem Fall ein Fehler.
    Die Sonne zwängt sich zwischen hellgrauen Wolken hindurch und berührt mein Gesicht mit ihren Strahlen. Ich glaube nicht, dass ich jemals wieder ohne dieses Gefühl leben möchte.
    »Das ist der erste richtige Kratzer deines Lebens, nicht wahr? Muss erschreckend sein.«
    Durch Spott bin ich nicht aus der Reserve zu locken. Wenn Sandor mich wütend machen will, muss er sich etwas Besseres einfallen lassen.
    »Das Leben in den Sphären ist anders, als du es dir vorstellst«, entgegne ich betont freundlich.
    »Oh, da bin ich sicher. Entbehrungsreich, nicht wahr?«
    Nein, liegt es mir auf der Zunge, aber anstrengend, mit vollgepackten Tagen und durchstudierten Nächten, mit unangekündigten Kontrollen und wenig Möglichkeit, eigene Entscheidungen zu treffen.
    Ein Leben ohne Sonne im Gesicht.
    Ich presse das Tuch fester auf die Wunde. »Ich würde es dir beschreiben, wenn du es wirklich hören wollest. Ich würde dir von der Enge innerhalb der Kuppeln erzählen, von den Quartieren ohne Blick nach draußen, von den Kämpfen, die sich die Studenten um die besten Plätze in der Reihung liefern. Fairerweise würde ich auch die Wärme erwähnen, die Technik, das Essen, die gute medizinische Versorgung. Das alles stand uns zur Verfügung, aber es hatte auch seinen Preis.«
    Die nächsten Minuten gehen wir weiter, ohne miteinander zu sprechen. Sandor sucht mit gerunzelter Stirn den Himmel ab, die Arme vor der Brust verschränkt. Ich möchte ihn gerne fragen, ob er sich wegen der Schlitzer, die gesichtet wurden, keine Sorgen macht.
    Irgendwann, lange nachdem wir die Brücke mit dem roten Tuch überquert haben, wendet er sich mir wieder zu.
    »Fehlt es dir?«
    Es. Das Leben in Wärme und in Sicherheit – auch wenn Letzteres vielleicht trügerisch ist.
    Ich denke ausgiebig über meine Antwort nach. Vermisse ich die Welt, die mich derart verraten hat?
    »Ich weiß es nicht«, sage ich wahrheitsgemäß. »Aber ich kann dir sagen, wonach ich große Sehnsucht habe: Ich will wieder daran glauben können, dass die Absichten der Sphären gut sind. Davon war ich mein Leben lang überzeugt.«
    Sandor hat den Anstand, das schweigend hinzunehmen, obwohl ich an seinen Augen sehe, wie gerne er meinem Wunsch endgültig den Garaus machen würde.
    Wir laufen nun wieder über die verblassten Zeichen auf den alten Straßen. Striche, Pfeile, Balken. Von einem halb eingestürzten Dach fällt ein Klumpen Schnee und klatscht auf den harten Asphaltboden.
    Es taut.
    Kurz bevor wir das große Clanhaus erreichen, bleibt Sandor stehen. »Es gibt etwas, das du wissen solltest.« Die Art, wie er das sagt, ist alles andere als beruhigend.
    »Ja?«
    »Andris hat wieder Exekutoren gesichtet. Sie haben nicht angegriffen, sondern etwas gesucht. Nahe der Magnetbahn. Wahrscheinlich ging es um euch und allmählich frage ich mich, warum sie es nicht gut sein lassen.«
    »Ich weiß es nicht. Immer noch nicht. Seit Wochen denke ich ständig darüber nach,

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