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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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möglicherweise kann ich sie dennoch identifizieren. Lidmaš ī nas kr ī t oke ā n ā . Nichts Slawisches, eher aus dem Baltikum. Litauisch? Lettisch? So weit kann ich es eingrenzen, damit muss Quirin sich zufriedengeben.
    Danach wird es wieder einfach, ein chinesisches Buch über Fischzucht, ohne Abbildungen, dafür aber mit sehr farbigen Beschreibungen der einzelnen Arten. Die restlichen drei Bücher im Stapel sind in Katalanisch, Finnisch und, vermutlich, Isländisch verfasst. Ich streiche über den Einband des chinesischen Buchs. Quirin wird zufrieden sein, hoffe ich. Nur, dass er sich mit seiner Rückkehr Zeit lässt.
    Es heißt, es sind Kinder darunter. Ich nähere mich Bojans Worten wie einem viel zu heißen Ofen.
    Haben die Sentinel Kinder getötet? Das kann ich mir nicht vorstellen. Es gibt keinen Grund dafür, sie sind keine Bedrohung. Und selbst wenn Barmherzigkeit bei den Exekutoren nichts zählt, so ist doch Verschwendung gegen das Gesetz, darin gleichen wir den Clans. Töten um des Tötens willen ist die furchtbarste Verschwendung überhaupt.
    Aber was weiß ich schon. So wie es aussieht, hat man uns nicht einmal die Hälfte dessen erzählt, was unsere Welt ausmacht. Dass wir die, die es außerhalb der Sphären schaffen, offenbar nicht am Leben lassen. Zu viel Land freigelegt, zu viele Tiere gezüchtet, zu hohe Überlebensraten zu verbuchen, hat Lennis gesagt.
    Er ist übergelaufen. Kann ich mir vorstellen, das Gleiche zu tun? Würden sie mich hier überhaupt haben wollen?
    Meine Gedanken halten mich so sehr gefangen, dass ich begonnen habe, die kostbaren Wände entlangzulaufen, ohne es zu merken. Meine Fingerspitzen streichen an Buchrücken aus Leder entlang. Altes Wissen, Zeugnisse einer lang vergangenen Zeit. Wunderschön. Wie großartig wäre es, wenn wir das alles hier während einer Exkursion entdeckt hätten und nicht auf der Flucht vor einem blutigen Ende.
    Als Quirin zurückkommt, ist meiner Schätzung nach eine Stunde vergangen, und ich bin völlig erschöpft. Die Bilder von kindermordenden Sentineln haben sich in meine Fantasie gefressen, begleitet von Lennis’ Worten: Das Blut war echt, die Schreie, die Toten.
    »Ich will wissen, was passiert ist«, fordere ich, kaum dass Quirin die Tür hinter sich geschlossen hat.
    Er antwortet nicht, sondern tritt an das Tischchen mit dem Bücherstapel. »Nicht spanisch, oder?«
    Ich atme tief durch. »Wie man es nimmt. Eins von ihnen ist katalanisch, ein anderes portugiesisch. Außerdem finnisch, mandarin, isländisch und vermutlich lettisch.«
    Er dreht das chinesische Bändchen in den Händen. »Du bist gut. Mein Kompliment.«
    »Danke«, antworte ich verzweifelt. »Sagen Sie mir bitte, was passiert ist?«
    Er hebt die Hand zu einer unbestimmten Geste, am Ärmel seiner Jacke entdecke ich Blut. »Ein Überfall, vergangene Nacht. Die, die fliehen konnten, suchen jetzt Schutz bei uns. Es muss schlimm gewesen sein.«
    Ich will fragen, wer es war. Gewissheit haben, wenigstens in einer Sache, doch ich bekomme die Worte nicht über die Lippen.
    »Der Beschreibung nach waren es Sphärensoldaten, mindestens hundert. Sehr gut bewaffnet und mit dem Überraschungsmoment auf ihrer Seite.« Während er spricht, sieht Quirin mich nicht an, sondern ordnet die Bücher vor ihm immer wieder neu.
    In mir wächst der Wunsch, mich zu entschuldigen. Es tut mir so, so leid. Obwohl, wäre es nach mir gegangen, hätte niemand diesen Menschen ein Haar gekrümmt. Aber ich komme nicht dagegen an.
    »Wenn es etwas gibt, das ich tun kann …«, presse ich hervor. Es sind leere Worte, das wissen wir beide, aber Quirin ist höflich genug, sich für mein Angebot zu bedanken.
    »Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art«, sagt er und klingt müde dabei. »Wir werden den Flüchtlingen beistehen, so gut wir können – aber du solltest dich zurückhalten. In deinem eigenen Interesse.«
    Bevor ich ihn fragen kann, wie er das meint, fliegt die Tür erneut auf und Sandor stürmt herein, atemlos, als wäre er die ganze Strecke vom Haupthaus gerannt. Er hält ein kurzes Messer in der Hand, sein dunkles Haar klebt an seiner Stirn.
    »Ich übernehme zwanzig von ihnen«, ruft er und bleibt wie erstarrt stehen, als er mich sieht. »Was tut sie hier?«
    Quirin tritt zwischen uns, als befürchte er, Sandor könnte auf mich losgehen. »Sie hat mir geholfen. Ich habe die Lieblinge für mich beansprucht und du hast im Namen des Clans zugestimmt. Gibt es plötzlich ein Problem?« Unnachgiebige

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