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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Verband, unter dem immer noch ein unsichtbares Feuer tobt. Als ich mich wieder angezogen habe und meinen Kopf nach draußen stecke, ist von Fleming nichts mehr zu sehen.
     
    Am Abend ist es in der Halle voller als sonst. Die Jäger waren einmal mehr erfolgreich, es gibt Kaninchen und Reh. Wir sitzen auf den gleichen Plätzen wie immer und nun sehe ich auch Tomma wieder. Sie beachtet uns kaum, winkt nur einmal flüchtig in unsere Richtung und konzentriert sich ansonsten auf Yann.
    »Das ist ihre Überlebenstaktik«, will Aureljo mich beschwichtigen. »Verbündete suchen.« Er war mit den Jägern unterwegs und kann die Augen kaum noch offen halten. Deshalb bemerkt er auch die feindseligen Blicke der Flüchtlinge nicht. Noraner. Sie wirken, als müssten sie all ihre Kraft aufwenden, um den Frieden der Halle einzuhalten, den Fürst Vilem vor wenigen Minuten ausgerufen hat.
    Quirin ist mit ihnen angekommen, und nachdem er weinende Frauen umarmt und für angsterstarrte Kinder Grimassen gezogen hat, setzt er sich zu uns. Aureljo rückt ein Stück zur Seite.
    Ich fürchte, dass er uns von den Abscheulichkeiten erzählen wird, die die Noraner durchlebt haben, doch zunächst füllt er lediglich seinen Becher mit Schmelzwasser und trinkt ihn in einem Zug leer.
    »Euer Fleming weiß, was er tut«, stellt er anschließend fest. »Er hat ein Bein geflickt, von dem ich dachte, dass Andris es mit der Axt behandelt müsste.«
    Mit aller Kraft versuche ich, kein Bild davon in meinem Kopf entstehen zu lassen.
    »Ja, Fleming ist hervorragend«, stimmt Aureljo zu. »Es ist eine Schande, dass …« Er beendet den Satz nicht. Entweder weil er nicht laut aussprechen will, dass unsere Zukunft zum Teufel ist. Oder weil Quirin ihn so intensiv betrachtet. Sein Blick saugt sich geradezu an Aureljo fest.
    »Wiederhole das bitte.«
    »Ich … ich sagte, dass Fleming hervorragend ausgebildet ist. Er hätte später sicher eins der Medcenter geleitet, wenn nicht … dieses Missverständnis entstanden wäre.«
    Quirin nickt. Eine unbehagliche Pause entsteht.
    »Woher haben die Noraner eigentlich ihren Namen?«, werfe ich ein, um die Unterhaltung in eine andere Richtung zu lenken. »Bei den Schwarzdornen, den Schlitzern und den Scharten habe ich den Ursprung begriffen, aber Noraner? Hat das etwas mit dem Norden zu tun?«
    Erst denke ich, Quirin hat mich nicht gehört, denn er reagiert nicht. Sein Blick ist nach innen gekehrt, wie es oft bei Menschen ist, die Bilder aus ihrer Vergangenheit oder Fantasie vor sich sehen. Aber nach einigen Sekunden antwortet er doch, leise.
    »Die Gründerin ihres Clans hieß Nora. Eine wunderschöne Frau, der die Krieger in Scharen folgten. Vor zehn Jahren ist sie gestorben, da war sie achtundneunzig.« Er versinkt wieder in Schweigen. Schüttelt den Kopf, als wäre etwas darin, das er vertreiben möchte.
    Dann kommt das Essen, auf großen Platten, und beansprucht unsere ganze Aufmerksamkeit. Ich versuche, nur wenig zu nehmen, um den Flüchtlingen zu zeigen, dass Lieblinge auch zurückhaltend sein können, aber mein Hunger spricht eine andere Sprache. Als die Platte mit den Kaninchenstücken ein zweites Mal herumgeht, kann ich nicht widerstehen.
    Quirin dagegen hat kaum etwas angerührt. »Ich weiß fast nichts über dich«, sagt er zu Aureljo gewandt. »Ria ist ein Sprachtalent und du …« Er greift nach Aureljos Kinn, berührt kurz seine Wangenknochen und die kaum noch sichtbare Narbe neben dem Auge, wo früher das Muttermal saß. »Lass mich meine eigenen Vermutungen anstellen, ja?«
    Aureljo nickt, hinter seinem offenen Lächeln entdecke ich Unbehagen.
    »Du bist jemand, dem die Menschen folgen wie die Wölfe einer Blutspur. Wer dich kennt, will in deiner Nähe sein, und sogar die, die dir nur kurz begegnen, erinnern sich jahrelang daran. Du prüfst die Dinge, bevor du dich für sie begeisterst, aber wenn du es tust, ist deine Begeisterung so unwiderstehlich wie die Sonne. Du wurdest ausgebildet, um andere zu führen und sie mit deinem Feuer anzustecken wie mit einer beglückenden Krankheit.«
    Ich glaube nicht, dass ich es besser hätte formulieren können, und ich frage mich, woher Quirin dieses Wissen nimmt. Ja, er ist einer der Bewahrer, was auch immer das heißen mag. Aber er hat sich bisher meines Wissens noch nie ausführlicher mit Aureljo unterhalten.
    Je länger Quirin spricht, desto weiter wandert Aureljos Blick zur Seite. Er weiß nicht, wie er auf diese Hymne reagieren soll.
    »An der Akademie«, beginnt

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