Die Verratenen
haben. Die Kartusche nicht, die muss ihnen jemand geschenkt haben. Als Vorauszahlung für unseren Tod?
»Sie waren kaum einen Kilometer entfernt von hier unterwegs und sie sind genau in unsere Richtung gelaufen«, fährt Sandor fort. »Als wüssten sie, wo sie euch finden.« Sein Blick wandert von mir zu Aureljo und wieder zurück.
»Habt ihr eine Erklärung dafür? Die Stadt ist riesig und ihr könntet im Prinzip überall Unterschlupf gefunden haben. Ebenso gut könntet ihr tot sein, das wäre sogar wahrscheinlicher. Woher wussten diese Schlitzer, welchen Weg sie einschlagen mussten?«
»Vielleicht von einem eurer Leute. Oder einem der Noraner«, sage ich leise, obwohl ich weiß, wie abwegig das ist.
Sandor hebt seine gespaltene Augenbraue. »Niemand von den zivilisierten Clans spricht mit Schlitzern.«
Nur mit Mühe reißt Aureljo seinen Blick von der Heizkartusche los. »Dann bin ich ratlos«, murmelt er. »Obwohl, die Fahnder … Vielleicht hat einer verwertbare Bilder geliefert.«
Das ist Sandor zumindest eine Überlegung wert. »Kann sein. Allerdings hatte ich Leute ausgesandt, die genau darauf achten sollten. Auf die verspiegelten Geräte. Sie haben zwei zerstört, aber das war weit entfernt von hier.«
Sie sind euch wieder auf der Spur. Einer von euch ist ein Verräter. Erneut habe ich die Worte vor Augen, die mir blau vom Display meines Salvators entgegengeleuchtet haben, und ich frage mich, ob Aureljo das Gleiche denkt wie ich.
Einer von uns will, dass wir gefunden werden. Kann sein, dass der Bund ihm oder ihr Begnadigung versprochen hat. Jedenfalls hat es der Verräter offenbar geschafft, den Exekutoren unseren Standort mitzuteilen.
Aber wer?
Mit einem Mal weiß ich, warum mich Tychos Anblick auf dem Dach so unruhig gemacht hat. Eifrig dabei, etwas zu konstruieren. Eine Wetterstation – vielleicht ist das wahr. Gut möglich allerdings, dass er ganz nebenbei ein Funkmodul eingebaut hat.
28
Die Nacht scheint mir endlos, wie alle Nächte, in denen der Schlaf nicht kommen will. Ich liege mit offenen Augen da, fühle die Wunde an meinem Oberarm pochen und starre auf Tychos hellen Haarschopf, nur wenige Meter von mir entfernt.
Tycho. Er ist so jung und wirkt so unbeschwert. Ein Meister der Verstellung, sollte er wirklich derjenige sein, der uns verraten hat. Ich denke an den Moment zurück, als ich ihm mitgeteilt habe, was uns bevorsteht. Wie gelassen er reagiert hat. Ich habe es seinem Charakter zugeschrieben, aber vielleicht war es etwas anderes: das Wissen, dass er sich aus der Affäre ziehen kann. Indem er uns verrät.
Dann würde er die Hintergründe kennen. Als Einziger hier.
Oder doch Dantorian? Sein Bein lässt immer noch keine schwere Arbeit zu, aber die Prims haben ihm einen großen glatten Stein und eine Art Kreide gegeben, daraufhin hat er sie gezeichnet, ein Gesicht nach dem anderen. Die Kinder waren völlig aus dem Häuschen vor Begeisterung.
Mir sind dagegen ein paar kleinere Steine aufgefallen, auf denen er das Clanhaus skizziert hat. Möglicherweise aus Spaß an der Sache. Oder um einen der Steine weiterzugeben, damit die Schlitzer wissen, wonach sie suchen müssen.
Sogar Fleming käme als Verräter infrage – bei all seinen medizinischen Einsätzen ergeben sich bestimmt immer wieder Gelegenheiten für Alleingänge, bei denen er den Sentinel-Trupps Zeichen hinterlassen kann.
Ich drehe mich zur anderen Seite. Aureljo schlingt im Tiefschlaf seine Arme um mich und ich presse die Lider mit aller Kraft zusammen. Wenn ich sie wieder öffne, möchte ich in meinem Sphärenquartier sein, gemeinsam mit ihm, und nichts von Schlitzern, Verrätern oder Exekutoren wissen. Ich will, dass wir miteinander allein sein können, morgens zusammen in die Akademie gehen und uns nach den Lektionen im Café Agora treffen.
Ich will wieder glauben, dass ich auf der richtigen Seite stehe.
Doch natürlich passiert nichts davon. Als ich die Augen aufschlage, liege ich immer noch in unserem Keller, mit schmerzendem Arm und einem Kopf voller verworrener Gedanken.
Denn da ist noch Tomma, die heute Nacht wieder nicht bei uns schläft. Sie hat die meiste Bewegungsfreiheit, ihre Beziehung zu Yann verleiht ihr eine Sonderstellung unter uns Lieblingen. Hat sie unseren Aufenthaltsort verraten? Immer noch wütend darüber, dass ich sie nicht rechtzeitig eingeweiht habe? Vertraut sie darauf, dass Yann sie schützen wird, wenn die Exekutoren kommen? Oder hat sie einen Handel mit ihnen abgeschlossen?
Draußen ist
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