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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Wasser, strecke meine schmutzige Hand hinaus und warte, bis sie sauber ist.
    Ein Schubs von rechts lässt mich beinahe umfallen. »Wärst heute lieber bei den Freilegern, hm? Denen nimmt der Regen die Arbeit ab.« Andris zieht die Nase hoch und spuckt aus. »Aber hier wird nicht gefaulenzt. Du findest mir noch drei brauchbare Sachen, vorher gehst du nicht zurück.«
    Drei! Wir haben schon alle begehbaren Räume des Erdgeschosses durchsucht, da ist nichts mehr zu finden. Und brauchbar ist ein dehnbarer Begriff, den Andris nach Lust und Laune auslegen kann.
    Aber hinter mir sind Treppen. Sie locken mich schon die ganze Zeit. Risiko. Ich weiß nicht, ob jemand die Stabilität der oberen Stockwerke geprüft hat. Im schlimmsten Fall stürze ich durch brüchigen Fußboden auf die Köpfe der anderen Sucher.
    Meine Schritte sind vorsichtig. Einer, noch einer, ein dritter. Bis jetzt hat der Boden unter meinen Füßen weder geknarzt noch nachgegeben, also wage ich mich schneller vorwärts.
    Drei Dinge – ich könnte Andris dreißig bringen, wenn ich wollte. Er hat mein Fehlen inzwischen bemerkt, brüllt zu mir herauf: »Ungesichertes Terrain, was soll das?«, aber er folgt mir nicht. Gut so.
    Ein graues Kästchen mit Schlauchresten dran. Eine runde Metallwanne, schmutzig, aber kaum verrostet. Eine Art Hocker, rund, oben mit schwarzem Plastik überzogen. Unten sind zwei Rollen befestigt, früher waren es vermutlich vier.
    Innerlich triumphierend beschließe ich, auch noch den Nebenraum zu erforschen, doch ich erstarre schon in der Tür. An der gegenüberliegenden Wand, unterhalb dessen, was einmal ein Bücherregal gewesen sein muss, liegen die Überreste eines Menschen.
    Es ist nicht wie bei Maia. Von diesem Toten sind nur noch gelbe Knochen und Kleiderfetzen übrig, dünn gewordener Stoff, der früher einmal weiß gewesen sein muss.
    Ein Arzt. Oder eine Ärztin. Aus der Zeit davor. Hier gestorben, wer weiß, woran, und einfach liegen gelassen worden. Ich gehe näher heran, bücke mich und puste vorsichtig Staub von der Schädeldecke.
    So gerne würde ich einen Zipfel der damaligen Zeit zu fassen kriegen, als die Welt noch warm war und es kein Drinnen oder Draußen gab. Keine Lieblinge, keine Prims. Es muss ein Fest gewesen sein.
    Dann entdecke ich es. Nicht weit von dem Schädel entfernt liegt ein Schatz, zusammengehalten von einer dünnen Drahtspirale. Papier.
    Das wird Andris nicht bekommen. Die Vorstellung, dass es mir möglich sein wird, meine Gedanken festzuhalten, mir Dinge zu notieren oder auch nur meine eigene Schrift vor mir zu sehen, berauscht mich. Und hier, hier ist eine Art Stift, nein, mehr als einer.
    Ich stopfe alles Schreibmaterial, das ich finde, unter die unterste Schicht meiner Kleidung. Die Kanten pressen sich gegen meine Haut, aber das ist egal. Nur erwischen lassen darf ich mich nicht.
    Mit der Wanne, in die ich das graue Kästchen gepackt habe, in der einen Hand und dem Hocker in der anderen, mache ich mich auf den Weg zurück nach unten.
    »Drei Dinge«, sage ich und drücke sie Andris in die Hand, dann gehe ich hinaus, froh darüber, dass der Regen nachlässt.
    Tycho folgt mir. »Und wenn du durch die Decke gekracht wärst?«
    »Dann hätten die Exekutoren einen weniger jagen müssen.«
    Er blickt zur Seite, aber mehr unangenehm berührt als vor schlechtem Gewissen. Wieder keine Reaktion, die mir Klarheit verschafft.
    »Glaubst du, sie finden uns?«, fragt er wenig später, als wir durch nasse Straßenzüge zum Clanhaus zurückgehen.
    Das sollte ich besser dich fragen, denke ich. »Ich rechne jeden Tag damit.«
    Er zuckt tatsächlich zusammen. Aber auch das kann viele Bedeutungen haben – vielleicht ahnt er, dass ich ihn verdächtige.
    Die Straßen und Pfade sind nach dem Regen so schneelos, so viel freies Land habe ich noch nie gesehen. Eine fahle Sonne spiegelt sich in Wasserpfützen. Kaum noch Weiß um mich herum, alles fortgewaschen.
    Beständig ist nur das Chaos in meinem Kopf
     
    »So geht es nicht weiter.« Aureljo hat mich kurz vor dem Haupthaus abgefangen und zwischen zwei Ruinen gezogen. Seitdem wir unter Quirins Schutz stehen, werden wir vom Clan nicht mehr dauernd bewacht und können uns freier bewegen.
    Aureljo sieht mitgenommen aus, blass und bedrückt. Wasser tropft von verbogenen Fensterbrettern auf uns herab.
    »Was meinst du?«
    »Wir können den Clan nicht länger gefährden. Die Schlitzer waren auf der Suche nach uns und heute, während der Jagd, haben wir drei Sentinel-Trupps

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