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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Spuren auf dem kalten, harten Boden.
    Fleming kniet sich neben ihn, er legt Mundschutz und OP-Handschuhe an, ganz nach Vorschrift. Wäre unsere Lage nicht so furchtbar, fände ich das lustig. Nun kramt er hektisch in seinem Medpack, aus dem er Verbandsmaterial und ein kleines Fläschchen Wunddesinfektion holt.
    »Keine Schere«, zischt er, es klingt wie ein Fluch. »Hat jemand von euch ein Messer?«
    Ich habe eins und hole es aus meinem Rucksack. Es ist klein, aber scharf. Habe ich wirklich geglaubt, mich damit schützen zu können? Egal, es ist nützlich. Fleming schlitzt Dantorians Hose bis zum Knie auf und wir holen alle gleichzeitig Luft.
    Der Biss ist tief und sieht scheußlich aus. Blut sickert unablässig aus den Löchern, die die Wolfszähne hinterlassen haben, dazwischen ist das Fleisch gequetscht und blaurot verfärbt.
    »Ich muss das desinfizieren«, murmelt Fleming.
    Wie eine Antwort setzt draußen erneutes Heulen ein. Unsere Jäger haben noch nicht aufgegeben. Natürlich nicht, sie wittern uns, das Blut, die Angst. Ich kann mich erinnern, in Außenkunde gelernt zu haben, dass man Tiere ebenso lesen kann wie Menschen. Die Art, wie sie ihre Ohren halten, hat eine Bedeutung, meine ich mich zu erinnern. Das meiste, was uns damals beigebracht wurde, habe ich vergessen, ich war felsenfest überzeugt, es niemals zu benötigen.
    »Wasser«, sagt Fleming. »Am besten abgekochtes. Ich muss die Wunden reinigen, man kann vor lauter Blut kaum etwas erkennen.«
    Ein Krachen. Etwas ist gegen die Tür gesprungen, doch sie hält. Wir sind alle zusammengezuckt, keiner von uns kann einschätzen, wie stabil sie ist. Altes Holz muss das sein, mit einer Art Lack überzogen. Materialien wie diese werden in den Sphären nicht verwendet.
    Etwas, das wie ein Reißen klingt, lässt mich herumfahren. Es kommt von draußen und ich kann mir bildlich vorstellen, was dort gerade passiert. Auf der Flucht haben wir unsere Decken verloren und nun toben sich die Wölfe daran aus.
    Winseln und Jaulen. Als würden sie sich beratschlagen. Dantorians Stöhnen mischt sich mit den tierischen Lauten und mir fällt Flemings Anliegen wieder ein. Wasser, abgekocht. Ich sehe mich um.
    Der Raum, in den wir uns geflüchtet haben, ist fast quadratisch und so gut wie leer. In einer Ecke liegen die Überreste von etwas, das vielleicht einmal ein Tisch war. Die Fenster sind zugemauert, dafür fehlt das halbe Dach.
    An der Wand links von uns befindet sich ein Durchgang, der in einen weiteren Raum führt – einen dunkleren. Vermutlich weist dort das Dach noch keine Löcher auf. Ich stehe auf.
    Worauf ich hoffe, ist eine Feuerstelle, die fest mit dem Gebäude verbunden ist. Eine Art Herd, den niemand davonschleppen konnte. Zwar wüsste ich dann immer noch nicht, wie ich ihn erhitzen soll, aber es wäre ein Anfang.
    Ich trete durch die Tür in den Nebenraum und blicke mich um. Versuche, nicht enttäuscht zu sein, denn natürlich gibt es hier keine Kochstelle. Es gibt nichts außer kahlen Wänden. Doch die scheinen immerhin stabil zu sein.
    Auf das Positive fokussieren, rufe ich mir Graukos Worte ins Gedächtnis.
    Ich will schon wieder umkehren, als ich den Schatten sehe.
    Ein schmales, längliches Bündel dicht an der Wand. Erneut beschleunigt sich mein Herzschlag, diesmal vor Freude. Wenn jemand hier Waffen versteckt hat, sind sie für uns von unschätzbarem Wert. Kleidung, Nahrung – alles wäre willkommen.
    Ich bin noch drei Schritte entfernt, als mir eine Vorahnung kalt den Nacken hinaufkriecht. Die Umrisse des Bündels wirken nicht wie Waffen oder sonstige Gebrauchsgegenstände.
    Ein Toter. Eingeschlagen in ein Tuch oder eine Decke.
    Mein erster Impuls – die anderen zu informieren – ist übereilt. Erst sollte ich mir völlig sicher sein.
    Ich setze einen Fuß vor den anderen, vorsichtig und leise, ohne sagen zu können, warum. Neben dem Bündel knie ich nieder. Berühre es zögernd.
    Die Decke schlägt steife Falten, ich packe eine von ihnen und ziehe den Stoff ein Stück nach unten. Ein Gesicht erscheint.
    Ein Mädchen. Seine Augen sind geschlossen, seine Haut bläulich.
    Der Anblick nimmt mich stärker mit als vermutet, ich muss wegsehen und tief durchatmen, um den Schwindel zu vertreiben.
    Information, erinnere ich mich an das, was ich gelernt habe. Information gibt uns Kontrolle, Kontrolle macht uns stark.
    Ich ziehe die Decke weiter nach unten. Nun weiß ich, was das Mädchen das Leben gekostet hat.
    In seiner Brust stecken drei abgebrochene

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