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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Pfeile. Einer rechts, zwei links. Sie haben das Lederhemd durchbohrt. Rund um die Einschusslöcher klebt Blut, dunkelrot und kalt.
    Jemand muss die Schäfte der Pfeile abgeknickt haben. Jemand muss die Tote in die Decke gehüllt haben.
    Ich nehme mir einen Moment, um ihr Gesicht zu betrachten. Eine gerade, schmale Nase, ein rundes Kinn. Müsste ich raten, würde ich sagen, dass die Augen unter den geschlossenen Lidern einmal grün gewesen sind. Eine alte Wunde an der Schläfe ist zu einer unregelmäßigen Narbe verheilt. Das Haar ist braun und geflochten, einzelne Strähnen haben sich aus dem Zopf gelöst. Die Tote ist ungefähr so alt wie ich.
    Ich präge mir alles genau ein, bevor ich die Decke wieder über ihr Gesicht lege und in den anderen Raum zurückkehre, wo Fleming sich immer noch um Dantorians Bisswunde kümmert. Seinem hoffnungsvollen Blick begegne ich mit Kopfschütteln.
    »Kein Wasser. Leider. Auch kein Herd.«
    »Und ich dachte schon. Du hast so lange gebraucht.«
    Ich antworte nur mit einem Nicken. Bevor ich die ganze Gruppe einweihe, möchte ich mit Aureljo über meinen Fund sprechen.
    Er ist damit beschäftigt, Tomma zu beruhigen. Von uns allen verarbeitet sie die Geschehnisse am schlechtesten und ich frage mich zunehmend, wie sie es in der Reihung so weit nach vorne schaffen konnte. Sie muss ein Genie auf ihrem Gebiet sein.
    Ihr Salvator vibriert ununterbrochen, aber jedes Mal, wenn er dazu ansetzt, Alarm zu schlagen, gibt Tycho einen Code über das Zahlenfeld ein und das Gerät schweigt.
    Je näher ich ihn kennenlerne, desto mehr halte ich von ihm. Jeder andere hätte das Signal einsetzen lassen, um die Wölfe zu vertreiben, die immer noch vor dem Haus ihre Runden drehen, doch er ist klug genug, um ihnen keine Chance zu geben, sich an den Ton zu gewöhnen. Das Kreischen des Salvators hat uns einmal gerettet, möglicherweise klappt es ein weiteres Mal.
    Auch Aureljo gibt sein Bestes. Er hält Tomma im Arm und wiegt sie, als wäre sie ein kleines Kind. »Ria ist sich ganz sicher«, sagt er gerade und blickt zu mir auf. »Sie hat es mir erzählt, aber ich habe ihr nicht geglaubt.«
    »Und mir traust du nicht«, murmelt Tomma. Diese Äußerung richtet sich eindeutig an mich, auch wenn ihr Blick fest auf dem Boden haftet. »Mich lässt du im Ungewissen.«
    »Es tut mir leid.« Keine Lüge, es tut mir wirklich leid.
    »Warum?« Nun sieht sie mich an. »Ich hätte mich vorbereiten können, so wie ihr. Warum hast du mir nicht vertraut?« Die Frage kommt herausfordernd.
    Unser Leben steht auf der Kippe, ich werde ihr die Wahrheit jetzt nicht ersparen.
    »Sieh dich an, Tomma. Wie schlecht es dir geht und wie sehr du es zeigst. Hätte ich dir alles gesagt und du hättest mir geglaubt, dann wäre es dir nicht gelungen, deine Angst und deine Verzweiflung zu verbergen. Das konnte ich nicht riskieren.«
    Meine Worte machen sie wütend und wieder gibt sie sich keine Mühe nachzudenken, bevor sie losschreit. »Und deshalb lässt du mich ahnungslos ins offene Messer laufen, ja?«
    »Es war besser für dich und besser für uns alle. Aureljo, kann ich dich sprechen? Unter vier Augen.«
    »Schon wieder«, ruft Tomma. Ihre Stimme kippt. »Schon wieder Heimlichkeiten!«
    Angst und gekränkter Stolz. Keine gute Kombination. Aber Tomma wird sich beruhigen, ich kenne sie. Ob sie mir jemals wieder vertrauen wird, kann ich hingegen nicht sagen. Doch im Moment gehört das zu meinen kleineren Sorgen.
    Aureljo folgt mir in den Nebenraum und ich führe ihn zu dem schmalen Bündel. Ziehe die Decke weg.
    Er sagt nichts, sieht das Mädchen nur an. Dann kniet er sich hin. Mit einer Hand berührt er sanft die Reste der Pfeilschäfte, die aus dem Körper ragen. Er nimmt eine der steif gefrorenen Hände und hält sie zwischen seinen. Ich kann sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitet.
    »Was denkst du?«
    »Sie ist nicht allein gestorben. Ein Freund war bei ihr und er wird wiederkommen.«
    Damit bestätigt Aureljo meine Vermutung. Jemand muss das Mädchen zugedeckt haben, hat es an diese geschützte Stelle getragen, wo die Wölfe nicht über die Leiche herfallen können. Ihm hat die Tote viel bedeutet, so viel, dass er ihr so etwas Kostbares wie eine Decke hiergelassen hat. Er holt Leute, die ihm helfen, das Mädchen nach Hause zu bringen. Er. Oder sie, je nachdem.
    Hinter uns Schritte. Tycho und Fleming haben nicht gewartet, bis wir zurückkommen und Bericht erstatten. Jetzt nimmt Fleming Aureljos Position neben dem Mädchen ein,

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