Die Verratenen
Fleming geht als Letzter. Niemand spricht, wir konzentrieren uns verbissen aufs Weitergehen. Meine Gedanken kreisen um etwas, das Tomma vor unserem Aufbruch gesagt hat: Erst, nachdem sie Lu ermordet hatten.
Das Bild der drei Akademiestudenten, eingekesselt von wilden, blutdürstigen Prims, hat Risse bekommen.
Lu, Raman und Curvelli waren ebenfalls mit der Magnetbahn gereist, begleitet von einer kleinen Gruppe Sentinel. Man hat uns erzählt, dass sie getötet wurden, während sie damit beschäftigt waren, Erdproben zu nehmen. Doch in mir entsteht gerade ein neues Bild: Lu, Raman und Curvelli in der Magnetbahn, ihnen gegenüber Sentinel mit Pfeilschussgeräten und Dornenstöcken.
Hätte ich in der Bibliothek nicht gelauscht, wäre das Auftauchen der Farblosen für mich viel überraschender gewesen. Ich hätte nicht den blauen Hebel gezogen, sondern das Gespräch gesucht. Mich bemüht, einen offensichtlichen Irrtum aufzuklären.
Zeit genug für die Farblosen, uns abzuschlachten, einen nach dem anderen. Das Gefühl, dass es bei Lu vielleicht genauso abgelaufen ist, lässt sich nicht abstreifen, es klebt an mir wie Dreck.
Nur, warum? Wurden die drei auch für Verräter gehalten?
Ich weiß, dass ich die Frage nicht beantworten kann, solange ich keine weiteren Fakten kenne. Trotzdem kann ich nicht aufhören, sie in meinem Kopf hin- und herzuwenden.
Tomma bleibt immer wieder zurück und lässt sich von Fleming stützen; meistens gehe ich neben Dantorian, der unablässig vor sich hin summt. Ich kenne die Melodie nicht, aber sie ist schön. Sanft und traurig und Mut machend zugleich. Meine Schritte passen sich ihrem Takt an.
Es ist ein trüber Tag, der nicht richtig hell werden will. Hin und wieder rieseln ein paar Schneeflocken auf uns herab und ich frage mich, was wir tun, sollte das Wetter schlechter werden. Von meinem Quartier aus habe ich viele Schneestürme um die Kuppeln toben sehen, ich habe sie immer aufregend und schön gefunden.
Wir sollten schneller gehen.
Überraschend summt mein Salvator, vibriert an meinem kältetauben Handgelenk. Drei Signale, ein langes, danach zwei kurze, knapp hintereinander. Das ist ein Code, den ich nicht kenne.
Das Display leuchtet im vertrauten Blau. Ich rechne mit einer Meldung zu meiner Körpertemperatur oder einer Warnung wegen Nährstoffmangels, obwohl die Signale dafür eigentlich andere sind.
Aber es ist eine Botschaft. Zwei Worte nur: Viel Glück!
Es dauert einige Sekunden, bis ich begreife, dass ich mich nicht verlesen habe. Und wahrscheinlich sind es die Kälte und die Erschöpfung, die mich kurz denken lassen, dass der Salvator selbst mir Glück wünscht.
Aber natürlich ist es eine Nachricht, die jemand gesendet hat. Alarmiert schließe ich zu Aureljo und Tycho auf.
»Was genau hast du aus meinem Salvator entfernt?«
Tycho hat seine Decke so um sich gewickelt, dass sie bis über seine Nase reicht. Er muss sie erst tiefer ziehen, bevor er mir eine verständliche Antwort geben kann.
»Den Sender. Also den Teil, der Informationen an die verschiedenen Abteilungen der Sphäre schickt.«
»Bist du sicher, dass alles draußen ist?«
Er bleibt stehen. »Wieso fragst du?«
Wortlos halte ich ihm meinen Arm vors Gesicht.
»Das hast du gesendet bekommen?«
»Ja. Ich wusste nicht einmal, dass das geht.«
»Das Ding hat offenbar einen unabhängigen Empfänger«, stellt Tycho fest. »Danach habe ich bisher nicht gesucht und er müsste eigentlich ungefährlich für uns sein. Darüber kann uns niemand orten.«
Aureljo hat sich hinter ihn gestellt und betrachtet mit gerunzelter Stirn die kurze Botschaft. »Ich wüsste wirklich gerne, wer das geschrieben hat.«
Nun haben uns auch Dantorian, Tomma und Fleming eingeholt, Tomma wirkt, als wäre sie kurz davor aufzugeben.
»Was macht ihr da?«, wispert sie.
»Jemand wünscht uns viel Glück«, entgegnet Aureljo düster. »Eigentlich ging der Gruß an Ria, aber ich könnte mir vorstellen, dass wir alle gemeint sind.«
Er vermutet, dass der Absender uns verhöhnen will, man kann es deutlich an seinem Tonfall hören. Gut möglich – uns viel Glück zu wünschen, hier draußen, ist fast so, als würde man uns viel Spaß wünschen. Kann es sein, dass es eine Nachricht des farblosen Sentinel ist? Er gehört zu denen, die wissen, dass wir in der Wildnis unterwegs sind. Wer weiß es noch? Hat es sich schon bis zu Gorgias und Morus durchgesprochen, dass die Tötung in der Magnetbahn schiefgelaufen ist? Was werden sie den anderen
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