Die Verratenen
sparsamen Bewegungen, schnell und präzise.
Er entfernt einen oberflächlich sitzenden Pfeil aus einer Schulter, näht eine Platzwunde und schient einen gebrochenen Arm.
Ich beobachte weniger ihn als die Prims, die ihm bei jedem Handgriff auf die Finger sehen. Er nötigt ihnen Respekt ab, das ist gut für uns alle.
»Glotzt du Löcher in die Luft?« Es ist eine der Sucherinnen, sie versetzt mir einen Stoß in die Seite, der mich wieder auf das Haus zutaumeln lässt, wo wir gegraben haben. »Es wird weitergearbeitet! Los!«
Minuten später finde ich mich auf den Knien wieder, einen neuen Haufen vor mir, der nur zum Teil aus Stein besteht. Ich befühle das, was daraus hervorragt – es ist Holz. Ein langer, dunkler Balken.
In den Sphären gab es fast nichts, das aus Holz gemacht war. Ein paar alte Schränke, geschnitzte Schachfiguren, die antiken Schreibtische der ranghöheren Mentoren. Das war alles.
Ich lege den Balken fast zärtlich frei. Darunter ist noch einer. Er ist morsch und schimmelig, trotzdem ist er etwas Besonderes.
Zuunterst finde ich Gefäße. Sie sind aus gräulich trübem Metall. Ein wenig kratzen und schon stoße ich auf eine glänzende Schicht. Vier Stück sind es, alle unterschiedlich groß.
»Andris!«, rufe ich. Die Behälter sind ein guter Fund, da bin ich sicher, und ein bisschen Anerkennung kann ich gut gebrauchen. Aber Andris hat mich entweder nicht gehört oder er ignoriert mich.
»Er springt nicht, wenn ein Liebling pfeift«, erklärt eins der Mädchen. Es ist das gleiche, das mich vorhin beschuldigt hat, gestohlen zu haben.
»Ja, bei Andris kannst du das vergessen«, fügt das zweite zufrieden hinzu.
Dann eben nicht. Ich spare mir jede Antwort und versuche, mehr von dem glänzenden Metall freizulegen. Erst als ich hinter mir eine Bewegung spüre, drehe ich mich um.
»Kochtöpfe«, sagt Fiore. »Hast du auch Deckel dazu gefunden?«
Ich wühle ein Stück tiefer, finde jedoch nur Holz, das aussieht, als hätte es jemand mit einer weißen Schicht überzogen.
»Lass es«, meint Fiore. »Es ist schon mehr zusammengekommen, als ihr schleppen könnt. Mindestens einen der Verwundeten werdet ihr nämlich tragen müssen.«
»Ihr? Du hältst dich raus, verstehe ich das richtig?«
Sie wirft mir einen verächtlichen Blick zu. »Ich habe nicht den gleichen Heimweg.«
»Aha. Anderer Clan, ja?«
»Nein. Anderes Heim.«
Weiterfragen hat keinen Zweck, Fiore hat sich von mir abgewandt, sie durchforstet einen der Säcke, in dem die Funde gesammelt werden. Ist das ein Buch, das sie da in der Hand hält?
»Sie glaubt, sie sei etwas Besseres.« Das Mädchen, das mir schon über Andris’ Eigenheiten so bereitwillig Auskunft erteilt hat, will anscheinend auch seine Meinung zu Fiore loswerden. Sie spricht mit niemandem direkt, schon gar nicht mit mir, aber es ist klar, dass wir ihre Worte mitbekommen sollen. »Sie ist wie die meisten von Quirins Leuten. Machen sich nicht die Hände schmutzig, aber lassen sich von uns durchfüttern. So ist das!«
Fiore hebt leicht den Kopf, in ihren grünen Augen liegt die Kälte von hundertjährigem Eis. »Besser, du bist still, Paulin. Du kannst mir glauben, was Quirin tut, ist wertvoller als das bisschen Plastik, das du sammelst.«
Paulin schnaubt und wendet sich ab.
In die entstehende Pause hinein stelle ich die Frage, die mir schon seit Stunden auf der Zunge brennt: »Wer ist dieser Quirin? Ist er auch ein Clanfürst?«
In Fiores Lächeln lese ich Stolz und eine ähnliche Zuneigung, wie ich sie Grauko gegenüber fühle. »Er ist viel mehr als das. Quirin ist einer der Bewahrer.«
Bevor ich fragen kann, was das genau bedeutet, ist sie schon aufgestanden und aus dem Haus getreten. Innerlich seufzend wende ich mich wieder meinem Schutthaufen zu.
Als es draußen zu dämmern beginnt, sind meine Hände wund vom Graben. Die Ausbeute des heutigen Tages wird in rucksackartige Beutel gepackt, die wir uns auf den Rücken und vor die Brust schnallen. Die unverletzten Männer packen das Holz auf eine Art Schlitten, dann treten wir den Heimweg an. Nur Fiore macht sich in die entgegengesetzte Richtung davon.
Mit dem herannahenden Abend wird auch die Kälte wieder schneidender. Ich stecke meine Hände unter den stinkenden Fellüberwurf und sehe zum Himmel. Keine Spur mehr von der Sonne, aber über uns kreist ein Vogel.
Ich glaube, ich kenne ihn.
23
Fleming und ich sind die beiden Letzten, die zurückkommen, die anderen sitzen schon wieder in der Zelle, ein
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