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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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nachzufragen, über wen sie sprechen, aber eigentlich ist klar, dass es um Sandor geht. Noch einmal lasse ich mich nicht als dumm beschimpfen.
    »… sind hochnäsig. Als ob sie etwas Besseres …«
    »Wie es in den Schriften steht. Aber bald wird es …«
    Jetzt sprechen sie über uns, keine Frage. Die Lieblinge. Die Glaswarzenbewohner. Leider mit gedämpfter Stimme, gerade den letzten Satz hätte ich gerne ganz gehört.
    Aber bald wird es … anders sein?
    Aber bald wird es … mit ihnen vorbei sein?
    Mit einem Mal wünsche ich mir Fiore her. Ich hatte gestern immer wieder das Gefühl, sie könnte eine von uns sein. Clever, für Außenverhältnisse äußerst gebildet, schlagfertig. Jemand, mit dem man ein Gespräch auf Augenhöhe führen kann. Die Mädchen hinter mir beunruhigen mich hingegen: jung, albern – und bewaffnet. Vielleicht kann ich mich morgen freiwillig als Sucher melden.
    »So sieht man sich wieder.«
    Ich mache vor Schreck einen Satz zur Seite. Neben mir läuft Lennis, heute nicht in seiner Sentinel-Uniform, sondern in echter Prim-Kleidung. Leder, Fell und ein bisschen Wolle.
    Ich nicke ihm zu. »Wie geht es den Kindern?«
    »Oh. Gut.« Seine blassblauen Augen lächeln, sein Mund nicht. »Ich habe gehört, du hast mich durchschaut. Sandor war beeindruckt.«
    Ja, denke ich bitter. Das habe ich gemerkt. »Habe ich mit meiner Schätzung richtiggelegen? Du bist seit fünf Jahren hier, oder?«
    »Seit sechs.«
    Das verbuche ich als Treffer. »Wie hältst du das aus?«
    Jetzt lacht er. »Bestens. Sieh mal, da ist eine Sache, die du nicht durchschaut hast. Sie haben mich nicht gefangen genommen. Ich bin zu ihnen übergelaufen.«
    Zuerst denke ich, ich hätte ihn falsch verstanden. Übergelaufen, was für ein Witz. Aus der Wärme in die Kälte? Aus der Sicherheit in eine Existenz als potenzielles Wolfsfutter?
    Aber Lennis’ Gesicht wirkt völlig ernst, nein, sogar stolz.
    »Warum?«
    Er lässt sich Zeit für seine Antwort. Wendet sich zu den Mädchen hinter uns, überzeugt sich davon, dass sie völlig in ihr Gespräch vertieft sind.
    »Du hast die Exekutoren kennengelernt?«
    »Ja.«
    »Vor ungefähr sechs Jahren wurde ich mit zwanzig anderen Männern der Außenwache zu einem Spezialeinsatz abkommandiert. Die Exekutoren haben einen Clan ausgelöscht und wir waren dafür zuständig, dass keiner entkommt.«
    Es ist, als hätte jemand ein Metallband um meinen Oberkörper gelegt, das nun zugezogen wird.
    Es ist nicht wahr, tobt in mir Ria, die Nummer 7 der Akademie.
    Sie wollen auch uns töten, entgegnet Ria, die aus der Magnetbahn geflohen ist.
    Die Ria, die gerade mit einem stinkenden Tierpelz um die Schultern durch schwindenden Schnee läuft, bekommt nur ein Wort heraus. Das gleiche wie eben: »Warum?«
    Lennis hebt eine Hand und lässt sie wieder fallen. »Weil der Clan zu stark geworden ist. Zu viel Land freigelegt, zu viele Tiere gezüchtet, zu hohe Überlebensraten.« Er sieht mich von der Seite an. »Nicht dass du glaubst, sie wären eine echte Gefahr gewesen. Es waren immer noch hungernde Menschen, bei denen jedes dritte Kind während des ersten Lebensjahres gestorben ist. Aber sie waren auf dem richtigen Weg. So etwas sieht der Sphärenbund nicht gern.«
    Es ist, als würde alles um mich herum verschwinden. In meinen Ohren pocht der Puls so laut, dass ich meine Schritte nicht mehr hören kann.
    Das ist eine Lüge. Muss es sein. Meine Güte, es ist in den Sphären sogar verpönt, die Clans und Stämme als Prims zu bezeichnen, wir werden geschult, sie zu achten, sie zu schützen, ihnen zu helfen.
    »Das stimmt nicht«, flüstere ich.
    »Ich war dabei. Ich schwöre, dass ich die Wahrheit sage. Als Sentinel hat man viele Übungseinsätze, aber das war echt. Das Blut war echt, die Schreie, die Toten.«
    Mir ist so übel, dass ich es kaum schaffe weiterzugehen. Ich versuche, in Lennis’ Miene zu lesen. Er ist blasser als vorhin und sein Blick geht nach innen, wie es bei Menschen, die tief in vergangene Erlebnisse eintauchen, oft der Fall ist.
    Falls er sich verstellt, ist er wirklich gut. Besser als Grauko.
    Der Gedanke an meinen alten Mentor versetzt mir einen Stich, der mir den Atem nimmt. »Wer weiß davon?«
    Lennis schüttelt den Kopf, zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich war bloß Sentinel, natürlich gezeugt, von einer Familie aufgezogen.« Er zieht die Stirn kraus. »Die Exekutoren wissen davon, das ist klar. Und dann wohl die hohen Tiere, die Leute, die die Entscheidungen treffen. Die

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