Die verschollene Karawane
gefragt hatte, ob sie ihn sehen wolle, konnte er sich im Nachhinein nicht erklären. Mit allem hatte er gerechnet, doch nicht mit dieser schnellen Antwort. Yvonne hatte nur ein einziges Wort geschrieben: »Gerne«. Das freute ihn ungemein. Dennoch spürte er, wie bei dem Gedanken an ein Wiedersehen mit ihr seine Hände schweißnass wurden. Unbewusst begann er, sich an seinem rechten Bein zu kratzen. Er schrak hoch. Durch den Stoff der Hose hindurch konnte er fühlen, dass sich die Haut aufgeworfen hatte. Ungläubig krempelte er erst das Hosenbein und dann seinen rechten Ärmel hoch. Da waren sie wieder, die Pickel am Ellbogen! Am Bizeps hatte sich die Haut erneut rötlich verfärbt. Der Rücken juckte. Das Bild des Leprakranken einte sich mit einem von Yvonne. Zwiespältige Empfindungen machten sich in ihm breit. Seine Freude wurde überlagert von der Angst vor dem Treffen. Noch mehr fürchtete er sich allerdings vor diesen Flecken auf seinem Körper.
Jahzara war sehr aufgewühlt. Der Antrag auf ein Visum für Mali hatte sich zu einem Spießrutenlauf entwickelt. Vor wenigen Minuten hatte sie die Botschaft der Republik Mali in Addis Abeba verlassen, war aber noch immer in Rage. Der für die Visa zuständige Mann hatte sie wie eine Hure behandelt, hatte sich dazu hinreißen lassen, die Vergabe eines Visums von einem »netten gemeinsamen Abend« abhängig zu machen.
»Schwein, verdammtes«, zischte Jahzara vor sich hin, »du meinst wohl, eine alleinstehende Frau in Äthiopien, die auch noch allein nach Mali reisen will, kannst du einfach bumsen, bevor du ein Visum ausstellst. Aber das habe ich dir vermiest, du Hurensohn.«
Da in Äthiopien eine Frau in ihrem Alter, die keine Kinder hatte und nicht verheiratet war, als Freiwild galt, hatte sie keine andere Chance gesehen, als mit der Position ihres Vaters und seinen Kontakten zu drohen. Das hatte den Typen zur Räson gebracht. Sie hatte das Visum. Doch damit hatte sie gegen die Absprache mit Peter verstoßen. Statt so unauffällig wie möglich zu agieren, war sie schon beim ersten Schritt der Realisierung ihrer Reise aufgefallen. In der Botschaft wusste man nun Bescheid, wann sie abfliegen, wann sie in Bamako ankommen, in welchem Hotel sie wohnen und wann und mit wem sie nach Timbuktu Weiterreisen würde.
Sie überquerte die Straße und setzte sich in ein Café.
Ihre Gedanken schweiften zu Peter. Ob Peter Yvonne in München treffen würde? Liebte er sie noch? Jahzara konnte ihre Gefühle nicht so recht einordnen. Beide hatten sie dieses Thema während ihrer Reise durch Äthiopien gemieden. Peter gab ihr Sicherheit. Und sie genoss seine körperliche Nähe.
Aber die Angst vor dem, was kommen würde, wenn sie einem Mann intensive Gefühle zeigen würde, lähmte sie, aktivierte Verdrängungsmechanismen. Sie wusste, mit welch bitterer Realität sie sonst konfrontiert würde. Der ersten Berührung würde die Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit folgen. Von Peter kamen solche Impulse. Doch er war zu einfühlsam und zu rücksichtsvoll und hielt sich an ihre Abmachung. Das schätzte sie an ihm. In dem Häuschen ihrer Großmutter in Sintra hatte er einen Regenwurm gerettet, der in dem Teich um sein Leben rang. Peter hatte Respekt vor allen Kreaturen. Und mit Sicherheit hatte er sehr viel Respekt und Hochachtung vor ihr. Es war ein wunderbares Gefühl, von einem Mann wie ihm begehrt und respektiert zu werden. Sein Selbstbewusstsein war beeindruckend. Peter wusste, wer er war, was er wollte und vor allem, was er nicht wollte. All das zog sie an, führte sie zu dem Gedanken, Peter könne vielleicht der Mann sein, der sie lieben würde, obwohl sie ihm nie Kinder schenken konnte. Ja, manchmal glaubte sie das. Aber nur manchmal, denn dann wucherte wieder die Angst in ihrer Seele. Sie hielt es für besser, die zum Selbstschutz konstruierte Distanz zu ihm zu wahren. So lebte sie seit vielen Jahren. Nein, wenn sie ehrlich zu sich selbst war, so lebte sie nicht – sie überlebte bloß.
Plötzlich ahnte Jahzara, warum sie an Yvonne hatte denken müssen. Sie war eifersüchtig! Diese Selbsterkenntnis schockierte sie. Sie kannte das Gefühl von Eifersucht eigentlich gar nicht. Wieso ausgerechnet bei Peter? Sie zwang sich, nicht weiter darüber nachzudenken. Die Zeit würde zeigen, wer Peter wirklich war und was sie für ihn empfand. In der Wüste würden sich viele Gelegenheiten ergeben, ihr Verhältnis zueinander zu hinterfragen. Dann würde sich auch herausstellen, ob sie Peter
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