Die verschollene Karawane
Bürotür öffnen, als er abrupt stehen blieb: »Sagen Sie, Pietro, was ist das eigentlich für ein Blatt Papier, an dem dieser Charles Bahri erstickt ist? Stand da was drauf?«
Der junge Polizist schien auf diese Frage gewartet zu haben. »Es war eine Seite aus einem alten Buch. Durch den Speichel und das Erbrochene des Toten ist zwar nicht mehr allzu viel zu erkennen, aber es scheint so etwas wie eine Landkarte zu sein. Allerdings sagten mir die Gerichtsmediziner, es sei ziemlich wirres Zeug, was darauf abgebildet sei, mit sehr komischen Buchstaben und in verschiedenen Sprachen. Morgen erfahren wir mehr darüber. Jetzt, so denke ich, sollten wir schleunigst nach unserem Mann, dem vermeintlichen Mörder, suchen. Wir haben ja eine sehr gute Täterbeschreibung.«
Abdul Qadir Dschila, Sufi und damit Derwisch des Ordens Al Sakina, fühlte sich unwohl.
Die Fahrt zur Amr-Ibn-al-As-Moschee im Süden der Stadt hatte ihm bei der unerträglichen Hitze dieses Morgens sehr zu schaffen gemacht. Kairo lag unter einer Dunstglocke aus Abgasen und roten Sandpartikeln, die ein Wüstensturm in der Nacht zuvor über die Stadt am Nil geweht hatte. Das Atmen fiel ihm schwer. In Masr el-edima, dem Viertel der koptischen Christen, hatte er fast eine Stunde lang in einem Stau gestanden. Er war froh, endlich die Moschee erreicht zu haben. Schwer keuchend musste er im Schatten des Brunnens inmitten des Innenhofs rasten. Unter dessen Kuppel war es angenehm kühl. Eine Windböe wirbelte seinen weißen Vollbart hoch und ließ sein Gewand flattern.
Für einen Moment gab er sich wehmütigen Gedanken hin. Was für ein geschichtsträchtiger Ort für ein solches Treffen! Die nach dem einstigen Heerführer benannte Amr-Ibn-el-As-Moschee war die älteste auf afrikanischem Boden. Legenden wussten sogar zu berichten, dass der Brunnen, in dessen Schatten er gerade ruhte, vom Wasser der heiligen Moschee in Mekka gespeist wurde. Und eine der acht Säulen des Brunnens war angeblich vom Kalifen Omar mit einem einzigen Peitschenschlag vom heiligen Mekka hierher befördert worden. Hier in al Fustat hatte vor 1400 Jahren die Eroberung Ägyptens durch moslemische Heere und damit der Siegeszug des Islams über Nordafrika bis hin nach Spanien begonnen. Von hier aus, der heutigen Altstadt Kairos, hatten islamische Heerführer die südlich von Ägypten gelegenen Christenreiche von Aksum und Lalibela überrannt und dort Christen, Juden und Ungläubige dem Wunsche Allahs gemäß bekehrt – oder getötet. Afrika, Heimat ungläubiger Schwarzer und widerspenstiger Christen, Bollwerk des Satans USA fiel nach und nach. Der große islamische Gottesstaat am Horn von Afrika war nur mehr eine Frage der Zeit. Ja, die Moschee Amr Ibn el-As war wahrlich ein guter Ort, um sich mit Hasan al-Basri zu treffen.
»Es-Sabr gamil…«, murmelte er leise ein arabisches Sprichwort vor sich hin. Ja, Geduld war wirklich schön, wenn man im rechten Glauben lebte. Geduld hatten er und seine Glaubensbrüder vom Al-Sakina-Orden sicherlich. Am rechten Glauben mangelte es ihm und seinen Brüdern auch nicht. Allerdings war ihnen das Glück derzeit nicht wirklich hold. Doch der Allmächtige würde ihnen Kraft geben.
Ausgeruht und voller Elan richtete sich Abdul Qadir Dschila auf und ging über den Innenhof zur Moschee. Der Ruf des Muezzins ließ ihn erkennen, dass er pünktlich war. Zu seiner Freude saß Hasan al-Basri bereits auf einem Gebetsteppich rechts neben der Minbar an der Qibla-Wand. Hier, unter der Kanzel, dessen war er sich sicher, würden sie ungestört über die neuesten Entwicklungen sprechen können. Kein Abtrünniger, kein Spitzel der ägyptischen Regierung und schon gar keine zionistischen Spione würden sich an diesen Ort trauen. Dieses Bewusstsein beruhigte ihn. Denn sein Gespräch mit Hasan al-Basri war brisant. Die Angelegenheit mit diesem Charles Bahri drohte aus dem Ruder zu laufen. Sahib al Saif, der Mann, den alle im Orden »Statthalter des Schwertes« nannten, hatte ihn informiert, dass es ihm weder im Haus des Christen am Roten Meer noch in dem Kloster gelungen sei, an die Dokumente zu gelangen. Dummerweise war der ehemalige Mönch inzwischen tot. Wie das passieren konnte, wusste er zwar noch nicht, aber Sahib al Saif würde gleich Bericht erstatten. Dann galt es, einen neuen Plan zu schmieden, denn wie es aussah, besaßen nun dieser Deutsche und eine Frau die wichtigen Dokumente. Hoffentlich, dachte Abdul Qadir Dschila und ging auf seinen Glaubensbruder zu, hat
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