Die Verschollenen
sie auszuleihen. Deshalb habe ich mir in letzter Zeit Gedanken darüber gemacht, was es für Alternativen für mich gäbe. Ich meine, es ist absehbar. Früher oder später werde ich arbeitslos sein.«
»Und was hast du dir überlegt?«
»Ich wollte schon immer einen Comicladen aufmachen.« Er unterbrach sich und drohte ihr scherzhaft mit dem Finger. »Ich weiß genau, was du jetzt denkst, dein Gesichtsausdruck spricht Bände. Jeder
denkt das. Man erwähnt einen Comicladen, und sofort denken die Leute an ein kleines Kabuff in einem Einkaufscenter, wo ein paar müffelnde Freaks Warhammer spielen und der fette Kerl aus den Simpsons hinter dem Tresen hockt. Stimmt’s?«
»So ziemlich«, musste Becka zugeben. »Mein Bruder stand mal eine Zeit lang auf Comics und Rollenspiele, und bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen ich mit ihm in den Laden gegangen bin, habe ich den von dir beschriebenen Eindruck bekommen.«
»Aber sie sind nicht alle so. Dieses Stereotyp ist ein falsches Bild. Ich würde gerne eine Comicladenkette für die nächste Generation gründen.«
»So ähnlich wie bei Klamottenläden?«
»Ungefähr.« Jerry zwinkerte ihr zu. »Aber ich hatte mehr an so etwas wie ein Café gedacht. In der Nähe von Colleges und ähnlichen Knotenpunkten. Und anstatt mich auf seltene Einzelausgaben und Kartons voller alter Superheldenheftchen zu konzentrieren, würde ich Graphic Novels, Kaffee und Gebäck anbieten. Gute Musik im Hintergrund und kostenloses WLAN. Die Leute könnten sich in meinem Comicladen genauso niederlassen wie bei Starbucks. Es wäre sauber, hell und gemütlich, und ohne all die Stereotypen, die Leute wie dich von solchen Läden fernhalten.«
Becka spitzte nachdenklich die Lippen. »Ich kann kaum glauben, dass ich das sage, aber das klingt nicht schlecht. Das ist gar keine dumme Idee.«
»Ich weiß, danke. Und genau das will ich mit dem Geld machen, wenn ich es gewinne.«
»Du meinst, falls du es gewinnst.«
»Sieh mal einer an, plötzlich wird sie frech.«
»Das ist also dein Ding, Comics und dieser ganze Kram?«
»Na ja, ich bin nicht völlig davon besessen, aber ja, manchmal lese ich sie echt gerne.«
Becka fragte sich, ob er seine Vorliebe für Comics herunterspielte, um sie irgendwie zu beeindrucken. Es hätte sie sowieso nicht gestört, aber wenn Jerry vorhatte, einen Comicladen zu eröffnen, musste er doch eigentlich mehr als nur eine kleine Schwäche für die Dinger haben. Doch sie sagte nichts, da sie ihn nicht in Verlegenheit bringen wollte.
»Hast du auch noch andere Hobbys?«
Jerry zögerte. »Versprichst du, dass du dich nicht über mich lustig machst?«
Becka nickte.
»Ich bin ein Amateurkryptozoologe.«
»Ein was?«
»Kryptozoologie. Da erforscht man unbekannte Lebewesen, vor allem Tiere. Jedes Jahr werden neue Vögel, Fische und andere Tierarten entdeckt, von denen man bis dahin nichts wusste - oder von denen man dachte, sie wären ausgestorben. Wie der Quastenflosser. Das ist ein Fisch, der angeblich zusammen mit den Dinosauriern ausgestorben war, aber dann haben sie vor der afrikanischen Küste lebende
Exemplare gefunden. Und vor ein paar Jahren haben französische Forscher eine Garnelenart entdeckt, die angeblich seit ungefähr sechzig Millionen Jahren ausgestorben sein sollte. Ob du es glaubst oder nicht, sie haben sie sogar in diesem Teil der Welt gefunden.«
»Eine prähistorische Garnele?«
»Ich weiß, es klingt blöd.«
»Nein, eigentlich nicht«, meinte Becka. »Irgendwie ist das cool. Hast du das studiert?«
»Nein.« Jerry starrte auf den Boden. »Aber als ich ein Kind war, wollte ich immer so werden wie Loren Coleman. Eigentlich will ich das immer noch.«
»Wer ist Loren Coleman?«
»Er ist sozusagen der Pate dieser Forschungen - ein wirklich großer Mann. Er, Ivan T. Sanderson und Charles Fort. Meine Helden.«
»Und warum hast du das dann nicht studiert?« »Es ist keine wirklich anerkannte Wissenschaft. Aber ich habe jede Menge Bücher zu dem Thema gelesen und recherchiere auch viel im Internet.«
»Und hast du schon was entdeckt?«
»Noch nicht. Ich habe mich mal zwei Wochen lang in den Wäldern von Oregon rumgetrieben, auf der Suche nach Hominiden, aber alles, was es mir eingebracht hat, war ein Schnupfen.«
»Hominide?« Becka kicherte. »Du meinst Bigfoot? Oder heißt es Bigfeet, wenn es um die Mehrzahl geht?«
Jerrys Ohren röteten sich. »Du kannst ruhig lachen, aber es ist durchaus plausibel, dass es in den entlegenen Gegenden von
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