Die Verschollenen
Nordamerika eine noch unentdeckte Affenart geben könnte. Das sind schließlich keine Aliens oder so.«
Becka legte ihm eine Hand auf den Arm. »Tut mir leid. Ich wollte mich nicht über dich lustig machen. Ehrlich nicht.«
»Du musst mich ja für einen echten Freak halten. Comics und Bigfootjagd. Mann …«
»Nein, gar nicht. Ich finde das cool. Du bist echt ganz anders als die Jungs bei mir zu Hause. Die interessieren sich nur für NASCAR-Rennen, Football und die Jagd. Du bist einzigartig. Und du weißt, was du mit deinem Leben anfangen willst. Du studierst nicht Medizin oder Jura oder so, nur weil deine Eltern das wollen. Das gefällt mir.«
Jerry schaute ihr in die Augen. »Wirklich?«
»Wirklich.«
Grinsend bückte er sich und hob einen abgebrochenen Ast auf. Dann streckte er die Arme aus.
»Komm schon, hilf mir. Ich bin der Packesel, also belade mich.«
Becka begann, trockene Äste und Zweige zu sammeln und sie auf Jerrys ausgestreckte Arme zu packen. Über ihnen raschelten die Blätter in den Baumkronen.
»Der Wind wird stärker«, stellte Jerry fest. »Schau mal, wie sich die Bäume biegen.«
»Die Insekten sind auch weniger geworden. Ist dir das aufgefallen? Ich musste bestimmt seit zehn oder fünfzehn Minuten keine Moskitos mehr verscheuchen. Daheim ist das auch immer so, bevor ein Sturm kommt.«
Sie hörten das entfernte Dröhnen des Hubschraubers. Es wurde lauter, als er näher kam, und dann zog er über ihren Köpfen vorbei, als er die letzten Crewmitglieder zurück zum Schiff brachte, wo sie den Sturm abwarten sollten.
»Tja«, meinte Jerry. »Das war’s dann. Jetzt sitzen wir hier fest.«
»Meinst du wirklich, dass es so schlimm wird?«
»Keine Ahnung. Ich meine, legal gesehen gibt es bestimmt einen Präzedenzfall, nach dem sie uns hierlassen können. Wie Stuart gesagt hat, wir haben schließlich einen Vertrag unterschrieben. Und ich garantiere dir, das ganze Drama wird gut für die Einschaltquoten. Aber ich glaube, wenn es wirklich schlimm wird, würde der Sender mehr Verantwortung zeigen und uns zusammen mit den anderen evakuieren. Außerdem schienen Stuart und die beiden anderen nicht besonders besorgt zu sein. Die wollten doch die Interviews und den ganzen Kram machen wie an jedem anderen Tag auch.«
Becka antwortete nicht. Stirnrunzelnd sammelte sie weiter Brennholz und legte es auf Jerrys Bündel.
»Alles klar?«, fragte er.
»Klar, warum?«
»Weil du auf deiner Lippe rumkaust.«
»Tut mir leid. Das mache ich schon, seit ich klein war. Immer, wenn ich Angst habe.«
»Du musst keine Angst haben. Bestimmt nicht. Ich werde auf dich aufpassen.«
»Es ist nur …« Seufzend ließ sich Becka auf einen Felsblock sinken. »Ich weiß gar nicht, was ich hier eigentlich tue. Ich meine, warum habe ich geglaubt, dass ich das schaffen würde? Kann ich nicht. Ich fühle mich einsam und verängstigt und bin völlig erschöpft. Gott, hör mir doch nur mal zu. Jetzt klinge ich schon wie Pauline.«
Jerry ließ das Brennholz fallen und setzte sich neben sie. Zögernd legte er ihr einen Arm um die Schulter. Becka versteifte sich, doch dann entspannte sie sich schnell wieder. Als sie nicht protestierte, drückte er sie sanft.
»Willst du die Wahrheit hören?«
Becka wischte sich über die Augen und nickte.
»Ich bin auch erschöpft. Bisher bin ich in den Challenges ganz gut klargekommen, aber es ist verdammt hart, mit Stefan, Jeff, Raul und Ryan mitzuhalten. Diese Typen sind verdammt fit. Mit den Moskitos, dem Dschungellärm und der Hitze schlafe ich in unserem Unterstand auch ziemlich beschissen. Von Troys Schnarchen mal ganz abgesehen.«
Er legte den Kopf in den Nacken und ahmte die nächtliche Geräuschproduktion des fluchenden Mechanikers nach - eine Mischung aus grunzendem
Schwein und Rasenmäher. Becka kicherte, dann lachte sie lauthals. Jerry ließ seinen Arm von ihren Schultern gleiten, doch sie rückte nicht von ihm ab.
»Genau so klingt er«, meinte sie schließlich. »Ich habe schon versucht, Blätter zusammenzurollen und sie mir in die Ohren zu stopfen, damit ich ihn nicht mehr höre, aber sie sind immer wieder rausgefallen.«
»Ich werde mindestens vier oder fünfmal pro Nacht davon wach«, erklärte Jerry. »Und wenn dann die Sonne aufgeht, fühle ich mich wie zerschlagen. Außerdem trägt auch noch der ständige Nahrungsmangel dazu bei. Deshalb war ich bei der Challenge heute Morgen so schlecht. Aber ich werde verdammt noch mal nicht aufgeben. Ich habe das ernst gemeint,
Weitere Kostenlose Bücher