Die Verschollenen
Insel.«
»Wollen Sie damit sagen, die Insel sei bewohnt? Dass es dort noch andere Menschen gibt?«
»Ja, in gewisser Weise. Aber es sind keine Menschen. Es sind … Dinger.«
Er hörte, wie Heffron jemandem etwas zuflüsterte, aber die Worte waren zu gedämpft, um sie verstehen zu können.
»Stefan, sind Sie sicher, dass Sie nicht verletzt sind?«
»Mir geht es gut. Ich habe weder Halluzinationen noch Wahnvorstellungen. Kommen Sie einfach her und sehen Sie selbst.«
»Okay. Halten Sie noch ein bisschen länger durch. Gehen Sie zur Landezone. Es ist bereits ein Team unterwegs.«
»Sagen Sie ihnen, dass ich im Kreis der Sicherheit warten werde, Mr. Heffron.«
»Behalten Sie das Satellitentelefon bei sich, okay?«
»Alles klar. Soll ich es ausschalten, damit die Batterie länger hält?«
»Ja, das wäre nicht schlecht. Aber ich bleibe hier auf Empfang. Wenn Sie mich brauchen, wählen Sie einfach die Eins. Dann landen Sie direkt bei mir. Alles klar?«
»Eins wählen, okay.«
»Halten Sie durch. Sie sind unterwegs.« Heffron beendete die Verbindung.
Stefan starrte auf das Telefon. Nachdem er wochenlang auf der nackten Erde geschlafen und wie ein Steinzeitmensch Feuer gemacht hatte, war es irgendwie berauschend, jetzt ein Stück Technik in der Hand zu halten. Mit dem Telefon fühlte er sich sicher, und es verlieh ihm frisches Selbstvertrauen. Kurz spielte er mit dem Gedanken, jemanden in den Staaten anzurufen, verwarf die Idee dann aber wieder. Außer einer Ex-Frau und zwei Kindern, die er seit fünf Jahren nicht mehr gesehen hatte, hatte er keine Familie und auch nicht wirklich Lust, mit einem seiner Freunde zu sprechen. Sie waren eigentlich nur lockere Bekannte, und nach dem, was er gerade durchgemacht hatte, wirkten ihre banalen Sorgen und kleinen Dramen noch trivialer als sonst. Außerdem würden sie noch früh genug von ihm hören. Sie alle. Immerhin war er der einzige Überlebende - der Letzte auf der Insel. Er würde berühmt werden.
Stefan schaltete das Telefon ab und schob es sich in
die Tasche. Dann wischte er das Blut von der Klinge und steckte das Taschenmesser ebenfalls ein. Dabei schaute er zufällig auf seinen Bauch und stellte fest, wie viel Gewicht er während der kurzen Zeit hier verloren hatte.
Die Reality-TV-Diät, dachte er. Das klingt doch gut. Ich sollte ein Selbsthilfebuch darüber schreiben. Das könnte mich reich machen.
Auf seinem weiteren Gang Richtung Strand war sein Schritt leichter und seine Haltung aufrechter. Die Luft schien wärmer geworden zu sein, und der Nebel löste sich langsam auf. Selbst die Tiere schienen von seiner Laune angesteckt zu werden. Überall im Dschungel hörte er Vögel rufen. Seine Sinne arbeiteten auf Hochtouren, und er meinte fast zu spüren, wie sich die Sonne Richtung Horizont schleppte, um den Mond zu vertreiben.
Andererseits, warum sollte ich mir die Mühe machen, ein Buch zu schreiben? Ich werde sowieso reich sein.
Stefan vergaß jede Vorsicht und lachte laut auf. Das Geräusch hallte durch die Dunkelheit. Er kicherte immer noch vor sich hin, als er um eine Kurve bog, im Schlamm ausrutschte und kopfüber in eine Pfütze fiel. Kaltes Brackwasser lief ihm in Mund und Nase und raubte ihm den Atem. Hustend versuchte Stefan, sich aufzurichten, aber im Matsch rutschten seine Hände immer wieder weg, und er fand keinen Halt. Stattdessen rollte er sich auf den Rücken, blinzelte das Wasser aus den Augen und versuchte aufzustehen.
Doch er rutschte erneut ab. Diesmal hörte er ein Knacken. Es schien sehr nah zu sein. Einen Moment lang dachte er, es sei ein brechender Ast gewesen, doch dann spürte er die Schmerzen.
»Oh, nein. Oh, verdammte Scheiße, verflucht …«
Er schaute auf seinen Fuß. Der Knöchel war bereits angeschwollen, und im Mondlicht konnte er erkennen, wie sich ein hässlicher, dunkler Bluterguss unter der Haut ausbreitete. Stefan zog sich hoch und balancierte auf dem gesunden Fuß. Dann versuchte er vorsichtig, sein Gewicht auf das andere Bein zu verlagern. Der einsetzende Schmerz ließ ihn rau aufschreien. Er fiel wieder hin und blieb liegen, wobei er sich stöhnend krümmte.
»Das ist nicht gut. Das ist überhaupt nicht gut.«
Stefan beschloss, um Hilfe zu bitten und griff nach dem Satellitentelefon, doch es war verschwunden. Hektisch klopfte er seine Taschen ab. Das Messer war noch da, aber das Telefon musste bei seinem Sturz aus der Tasche gefallen sein. Suchend stocherte er im Schlamm herum. Der Nebel war wieder da und hüllte
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