Die Verschollenen
Glorreichen Majestät, den es quält zu erfahren, dass meine Heimat von imperialen Eindringlingen betreten wurde.«
»Das mag ja sein«, sagte der Söldner. »Aber warum seid ihr hier?«
»Ah, das ist eine Geschichte von gewaltigem Eickarie-Mut«, erklärte Su-mil stolz. »Wir fanden diese Leute auf der Straße und sahen sofort, dass sie vorhatten, das Heim unserer Glorreichen Majestät anzugreifen. Sie richteten ihre Waffen auf uns und verlangten, dass wir sie hineinführten.«
Twister verzog das Gesicht. So war es nicht gewesen. Was tat Su-mil hier – wollte er, dass er und seine Freunde heroischer aussahen?
»Und das habt ihr getan?«, fragte der Lakraner.
Wieder bewegte Su-mil den Lauf der Waffe ein wenig. »Wir zeigten ihnen, wo der Gang verborgen war, und brachten sie hindurch«, sagte er.
»Wie das?«, fragte der Lakraner. »Beide Türme wurden bewacht.«
»Es gibt einen unbewachten Eingang.«
»Ihr werdet uns zu diesem Eingang führen, sobald wir uns um diese Feinde gekümmert haben«, sagte der Söldnerführer Unheil verkündend. »Sind noch mehr von ihnen hier?«
»Nein«, antwortete Su-mil. »Das hier waren alle, die wir hereingebracht haben.«
»Aber andere könnten folgen«, sagte der Lakraner, drehte sich um und gab einen kurzen Befehl in seiner eigenen Sprache. Einer der Söldner antwortete mit einem Grunzen, und ein Drittel von ihnen drehte sich um und eilte den Weg, den sie und ihre Freunde gekommen waren, wieder zurück. Wieder stiegen sie vorsichtig über die Leichen ihrer gefallenen Kameraden, kehrten zu der Ecke zurück, an der sie aufgetaucht waren, und gingen in Verteidigungsposition. »Und die da?«, fragte der Anführer und zeigte auf die toten Lakraner. »Was war mit denen?«
»Die Imperialen haben sie erschossen«, sagte Su-mil verächtlich. Wieder bewegte er die Waffe ein wenig. »Meine Leute und ich hatten keinen Anteil an dem Gemetzel.«
»Trotz dieser Waffen, die ihr tragt?«, fauchte der Söldner, plötzlich sehr misstrauisch. »Und woher habt ihr sie, wenn die Eindringlinge euch auf der Straße aufgehalten haben?«
Abermals veränderte Su-mils Waffe ihr Ziel. »Die Waffen gehören uns«, gab er zu. »Wir sagten den Imperialen, dass wir ihnen helfen würden.« Wieder wanderte die Mündung ein Stück zurück. »Aber wir würden niemals solche Waffen gegen unsere Glorreiche Majestät und unsere Bruder-Diener richten.«
Twister verzog das Gesicht. Er war tatsächlich ein Verräter, ein Verräter an seinem eigenen Volk und an den Imperialen, die bluteten und starben, um ihnen zu helfen. Und außerdem auch noch ein schamloser, aalglatter Lügner, wie er nun so dastand und ganz ruhig seine Opfer ansah, während er die Waffe auf Twisters linkes Auge richtete.
Sein linkes Auge?
Twister erstarrte, als er plötzlich begriff. Diese zufälligen Bewegungen der Waffe waren alles andere als zufällig. Stattdessen wechselte Su-mil sorgfältig zwischen Twisters linkem und rechtem Auge.
Linkshändig: eine Lüge. Rechtshändig: die Wahrheit.
Schnell ging er das Gespräch im Kopf noch einmal durch und versuchte, sich zu erinnern, wohin die Waffe bei jedem Satz gerichtet gewesen war. Wir haben sie erwischt – eine Lüge. Ich heiße Su-mil – die Wahrheit. Ich bin ein loyaler Untertan seiner Glorreichen Majestät – eine Lüge. Wir fanden sie auf der Straße. Sie planten eindeutig, das Heim unserer Glorreichen Majestät anzugreifen – die Wahrheit. Sie richteten ihre Waffen auf uns und verlangten, dass wir sie nach drinnen führten – eine Lüge. Wir haben ihnen gezeigt, wo der Tunnel verborgen war – die Wahrheit. Meine Leute und ich hatten keinen Anteil an diesem Gemetzel – eine Lüge. Wir haben den Imperialen gesagt, dass wir ihnen helfen würden – die Wahrheit.
Wir würden solche Waffen niemals gegen unsere Glorreiche Majestät oder unsere Bruder-Diener richten – eine Lüge.
Und zum ersten Mal, seit Aurek-Sieben Su-mil und seinen Soldaten begegnet war, spürte Twister, wie ein angespanntes Lächeln um seine Lippen zuckte. Ein schlauer und erfindungsreicher Bursche, dieser Su-mil. Und er hoffte offensichtlich, dass Twister und die anderen Imperialen über die gleichen Eigenschaften verfügten.
Denn es war plötzlich klar, was der Eickarie vorhatte. Er hatte die Wahrheit über einen unbewachten Eingang in die Festung gesagt, aber der Anführer der Söldner hatte den übereilten Schluss gezogen, dass dieser Eingang mit einem der bekannten Türme in Verbindung stand. Die
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