Die Verschwörer von Kalare
amputieren. Man sollte es so schnell und so schmerzlos wie möglich hinter sich bringen.« Das Publikum reagierte mit höflichem Lachen. Sie wartete, bis es verebbt war, und fuhr fort: »Die Einrichtung der Sklaverei ist eine Geißel für unsere ganze Gesellschaft. Dieser Missstand ist nicht länger zu tolerieren, denn die gesetzlichen Handhaben reichen längst nicht mehr aus. Alle hier wissen, dass das den Tatsachen entspricht.«
Sie holte tief Luft. »Aber nicht alle Anwesenden haben sich irgendwann einmal in der Gewalt eines Sklavenhalters befunden, wider das Gesetz und wider den eigenen Willen. Ich hingegen schon.« Sie blickte zur Seite, zur Fürstin von Aquitania. »Das Gefühl dieser Hilflosigkeit ist entsetzlich. Und entsetzlich ist auch …« Sie schluckte. »Und entsetzlich ist auch, was in einer solchen Lage mit Frauen geschieht. Ich konnte die Gerüchte kaum glauben - bis ich mich selbst in einer derartigen Situation wiederfand. Bis ich mit eigenen Augen sehen musste.«
Sie wandte sich wieder dem Publikum zu. »Die Geschichten klingen vielleicht wie Albträume. Aber sie entsprechen der Wahrheit. Im Laufe unserer Versammlung habt ihr die Berichte befreiter Sklaven gehört, von Männern und von Frauen, und hier wurden Gräuel geschildert, die in einer Gesellschaft des Rechts keinen Platz haben.
Wir befinden uns nun in der einzigartigen Situation, dieses Geschwür entfernen zu können, die schwärende Wunde zu schließen und unser Reich zum Besseren zu verändern. Wir haben eine Verantwortung gegenüber unseren Mit-Aleranern, uns selbst gegenüber und unseren Nachkommen gegenüber.
Senatoren, Cives, ich bitte euch alle, unterstützt die Fürstin von Aquitania in ihrem Kampf um Gleichberechtigung. Gemeinsam können wir unser Land und unser Volk aufs Neue einen.«
Sie trat einen Schritt vom Rednerpult zurück und nickte. Die Menge erhob sich von den Sitzen und spendete begeistert Beifall. Die Zustimmung flutete erneut als Welle aus Emotionen über sie hinweg, und sie konnte sich kaum auf den Beinen halten. Über ihre Fähigkeiten als Rednerin machte sie sich allerdings keine Illusionen: Natürlich würden die Anhänger der Sklavenbefreiung die Eingabe der Fürstin unterstützen. Die Rede und der Applaus der Menge am Ende dieser wochenlangen Versammlung waren reine Formalität.
Sie setzte sich wieder, während sich Senator Parmos erhob und zum Podium ging, wo er sich über die begeisterte Unterstützung der Sklavenbefreiungsbewegung ausließ. Parmos war ein begabter Redner und ein Meister des Feuerwirkens, eine Fähigkeit, mit der er Gefühle hervorrufen und beeinflussen konnte, und er würde die Zuschauer vermutlich eine Stunde oder länger mit seinen Worten in Bann schlagen.
»Sehr gut«, flüsterte die Fürstin Isana zu, als sie sich neben sie setzte. »Du bist ein Naturtalent.«
Isana schüttelte den Kopf. »Ich hätte krächzen können wie ein Rabe, und sie hätten trotzdem gejubelt.«
»Du unterschätzt dich«, erwiderte die Fürstin. »Du strahlst so eine … Rechtschaffenheit aus. Ich denke, das trifft es am besten. Deine Worte klingen ehrlich. Und dadurch wirken sie noch gewichtiger.«
»Sie klingen nicht ehrlich. Sie sind ehrlich«, gab Isana zurück. »Und meine Rechtschaffenheit, die habe ich vor drei Jahren verkauft.«
Die Fürstin lächelte sie frostig an. »Wie ehrlich von dir.«
Isana neigte den Kopf leicht und sah die Frau neben sich nicht an. »Habe ich mit diesem Auftritt meinen Pflichten für heute Genüge getan?«
Die Fürstin zog eine Augenbraue hoch. »Warum fragst du?«
»Ich treffe mich mit meinem Bruder zum Essen bei Vorello.«
»Ein sehr gutes Gasthaus«, sagte die Fürstin. »Es wird dir gefallen. Unsere Reise ist fast zu Ende. Ich habe noch ein oder zwei Treffen, ehe ich nach Aquitania zurückkehren kann. Wenn ich dich benötige, lasse ich nach dir schicken.«
»Sehr wohl, Fürstin«, sagte Isana und gab dann vor, der Rede von Senator Parmos zu lauschen. Schließlich schwoll seine Stimme zu einem lauten Donnern an, als er zum Ende kam, und das ganze Amphitheater erhob sich von den Sitzen. Die Woge der Gefühle, durch die Rede und das Feuerwirken des Senators zu flammender Hitze angefacht, raubte Isana die Orientierung und hinterließ in ihrem Kopf einen wilden Strudel, den sie gleichzeitig als belebend und als unangenehm empfand.
Sie musste das Theater verlassen. Als die Fürstin von Aquitania zum Pult ging und ihre Dankes- und Schlussrede begann, schlich sich Isana
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