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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Charlotte hoffnungsfroh stimmte.
    Gracie schob sich die losen Strähnen hinter die Ohren und schürte kräftig den Herd, damit das Wasser im Kessel rasch siedete. Sie fuhrwerkte so heftig mit dem Schürhaken herum, als wolle sie einem Todfeind den Bauch aufschlitzen.
    Während Charlotte Milch aus der Speisekammer holte, dachte sie laut nach. Sie achtete darauf, wohin sie die Füße setzte, denn die Katzen umstrichen sie, als hätten sie es darauf angelegt, dass Charlotte über sie stolperte. Sie goss ihnen ein wenig Milch in eine Untertasse und zerbröckelte ein kleines Stück frisches Brot, das sie ihnen auf den Fußboden warf. Sie stritten sich darum, schoben es mit den Pfoten hin und her und machten Jagd darauf.
    Gracie goss den Tee ein, und die beiden Frauen setzten sich in wohltuender Stille an den Tisch und tranken ihn, obwohl er noch sehr heiß war. Dann ging Charlotte wieder nach oben und weckte die Kinder.
    »Wann kommt Papa wieder?«, fragte Jemima, während sie sich das Gesicht wusch, wobei sie mit dem Wasser sehr großzügig umging. »Du hast ›bald‹ gesagt.« Ihre Stimme klang vorwurfsvoll.
    Charlotte gab ihr das Handtuch. Was konnte sie sagen? Ihr war klar, dass hinter Jemimas anklagendem Ton in Wahrheit Angst steckte. Etwas hatte in das Leben der beiden Kinder eingegriffen. Sie wussten nicht, was es war, und was man sich nicht erklären kann, macht Angst. Wenn ein Elternteil fortgehen konnte, ohne wiederzukommen, verschwand möglicherweise auch der andere. Was würde weniger Schaden anrichten: die gefährliche Wahrheit mit all ihrer Unsicherheit oder eine Lüge, die es den Kindern gestatten würde, die nächsten Tage ohne Sorge zu erleben, sich aber schließlich gegen Charlotte wenden konnte.
    »Mama?«, erinnerte Jemima ungeduldig an ihre Frage.
    »Ich hatte gehofft, dass es bald sein würde«, sagte Charlotte, bemüht, Zeit zu gewinnen. »Der Fall ist schwieriger, als Papa gedacht hatte.«
    »Warum hat er ihn dann übernommen, wenn er so schlimm ist?«, wollte Jemima mit forderndem Blick wissen.
    Was konnte sie darauf antworten? Dass er es nicht gewusst hatte? Dass ihm keine Wahl geblieben war?
    Daniel kam herein und zog sich das Hemd über die nassen Haare.
    »Was?« Er sah Mutter und Schwester fragend an.
    »Weil sich das so gehört«, gab Charlotte zur Antwort. »Für ihn war es richtig, das zu tun.« Sie durfte den Kindern auf keinen Fall sagen, dass sich ihr Vater in Gefahr befand und die Männer des Inneren Kreises ihn aus seiner Position entfernt hatten, um sich für seine Aussage gegen Adinett zu rächen. Auch konnte sie nicht sagen, dass er darauf angewiesen war, die Arbeit zu tun, die man ihm gab, weil seine Angehörigen sonst kein Zuhause hätten, wenn sie nicht gar hungern mussten. Für diese Art von Wirklichkeit waren die Kinder noch zu klein. Auf gar keinen Fall konnte sie zu ihnen über die entsetzlichen Dinge sprechen, die er entdeckt hatte und die alles zu zerstören drohten, was er kannte und worauf er Tag für Tag vertraute. Drachen und Menschenfresser hatten ihren Platz in Märchen, nicht in der Wirklichkeit.
    Jemima sah sie fragend an. »Will er denn bald wiederkommen?«
    Charlotte hörte aus ihrer Stimme die Sorge heraus, er könne aus eigenem Antrieb gegangen sein. Sie hatte diesen Schatten schon früher gespürt, die unausgesprochene Befürchtung Jemimas, ihn womöglich mit ihrem Ungehorsam vertrieben, seinen Erwartungen nicht entsprochen und ihn enttäuscht zu haben.
    »Na klar!«, sagte Daniel ungestüm mit gerötetem Gesicht und glühenden Augen. »Wie kannst du nur so was Dummes sagen!« Seine Stimme klang ärgerlich. Man hörte seinen Zorn darüber, dass die Schwester alles infrage gestellt hatte, was er liebte.
    Normalerweise hätte Charlotte ihn gemahnt, nicht so zu sprechen, jetzt aber war sie sich des Zitterns in seiner Stimme nur allzu bewusst, wie auch der Unsicherheit, auf die seine übertrieben zuversichtliche Reaktion zurückging.
    Jemima war verletzt und hatte zugleich Sorge, mit ihrer
Befürchtung Recht zu haben. Das war weit schlimmer als die Notwendigkeit, die Würde zu wahren.
    Charlotte wandte sich ihr zu. »Natürlich will er wiederkommen«, sagte sie gelassen, als sei jede andere Vorstellung einfältig, und so, dass sie merkte, dass sie sich auf keinen Fall zu ängstigen brauchte. »Er möchte selbst nicht fort sein, doch manchmal ist es eben nicht sehr angenehm, das zu tun, was sich gehört, und man muss auf etwas von dem verzichten, was einem wichtig

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