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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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bloß nicht, hier könnte so etwas nicht passieren. Es gibt in unserem Land genug soziale Ungleichheit, das dürfen Sie mir glauben.«
    Wider Willen musste Pitt Narraway im Stillen Recht geben. Zwar übertrieb er, doch selbst wenn sich seine Voraussagen nur zum Teil bewahrheiten sollten, wären die Folgen entsetzlich.
    »Wozu brauchen Sie mich?«, fragte Pitt, bemüht, seine Stimme gleichmütig klingen zu lassen. »Was soll ich ermitteln?«
    »Ich brauche Sie überhaupt nicht!«, stieß Narraway mit plötzlichem Unwillen hervor. »Man hat Sie mir von oben zugeteilt, und ich kenne nicht einmal den genauen Grund dafür. Aber wenn Sie schon mal hier sind, kann ich zumindest versuchen zu erreichen, dass Sie mir nützlich sind. Dieser Isaak Karansky stellt nicht nur eine für die Verhältnisse von Spitalfields recht anständige Unterkunft zur Verfügung, er ist unter seinesgleichen auch ziemlich angesehen. Hören Sie aufmerksam zu, was er sagt, beobachten Sie ihn, versuchen Sie, möglichst viel über ihn herauszubekommen. Wenn Ihnen etwas Nützliches auffällt, sagen Sie es mir. Ich bin jede Woche zu unterschiedlichen Zeiten hier. Sprechen Sie mit dem Flickschuster vorne im Laden. Er kann Mitteilungen an mich weiterleiten. Melden Sie sich nur, wenn es etwas Wichtiges gibt, und tun Sie es auf jeden Fall, wenn Sie den Eindruck
haben, dass es wichtig sein könnte! Sie können gar nicht vorsichtig genug sein.«
    »Ja, Sir.«
    »Gut. Jetzt können Sie gehen.«
    Pitt erhob sich und ging zur Tür.
    »Pitt!«
    Er wandte sich um. »Ja, Sir?«
    Narraway sah ihn aufmerksam an. »Passen Sie auf. Sie haben da draußen keine Freunde. Vergessen Sie das keine Sekunde. Trauen Sie niemandem.«
    »Nein, Sir. Danke.« Als Pitt hinausging, war ihm trotz der drückenden Atmosphäre in dem Raum kalt. Ihm stieg der süßliche Geruch faulenden Holzes und der Gestank einer offenen Abfallgrube in die Nase. Er fragte sich durch schmale graue Gässchen bis zur Heneagle Street durch. Isaak Karanskys Haus stand an der Ecke der verkehrsreichen Brick Lane, durch die man an der gewaltigen Front einer Zuckersiederei entlang zur Whitechapel Road gelangte. Er klopfte. Als sich nichts rührte, klopfte er erneut.
    Ein Mann von Ende fünfzig öffnete ihm. Sein Gesicht wies unübersehbar semitische Züge auf, und sein schwarzes Haar wurde an vielen Stellen grau. Er betrachtete Pitt mit gütigen und klugen Augen, doch die Umstände hatten ihn gelehrt, vorsichtig zu sein.
    »Ja?«
    »Mr. Karansky?«, fragte Pitt.
    »Ja …« Er sprach mit einem leichten Akzent, und in seiner tiefen Stimme lag unüberhörbar Misstrauen.
    »Ich heiße Thomas Pitt. Ich bin neu hier und suche eine Unterkunft. Ein Bekannter hat mir gesagt, Sie hätten unter Umständen ein Zimmer für mich.«
    »Wie heißt Ihr Bekannter, Mr. Pitt?«
    »Narraway.«
    »Gut, gut. Wir haben ein Zimmer. Kommen Sie bitte herein, und sehen Sie, ob es Ihnen recht ist. Es ist klein, aber sauber. Meine Frau hält es damit sehr genau.« Er trat beiseite, um Pitt einzulassen. Die Diele war klein, und die Treppe lag nur zwei oder drei Schritt von der Haustür entfernt. Im Haus war es finster,
und Pitt überlegte, dass es im Winter dort feucht und bitterkalt sein würde. Doch alles roch sauber, nach irgendeiner Art Politur. Aus der Küche stieg ihm der Duft von Kräutern in die Nase, die er nicht kannte. Die Vorstellung war angenehm, sich in einem Haus aufzuhalten, dessen Bewohner ein Familienleben führten, wo die Frau kochte, putzte, wusch und sich um alles kümmerte.
    »Nach oben.« Karansky wies mit der Hand hinauf.
    Pitt erstieg vorsichtig die Stufen und hörte sie bei jedem Schritt knarren. Oben zeigte Karansky auf eine Tür, und Pitt öffnete sie. Der Raum dahinter war klein, und das einzige Fenster war von außen so voller Schmutz, dass man kaum hinaussehen konnte. Vielleicht ersparte man sich besser den Anblick und konnte auf diese Weise in der Vorstellung seine eigenen Träume erschaffen.
    Die Laken auf dem eisernen Bettgestell wirkten sauber und frisch. Es schien mehrere Decken zu geben. Das halbe Dutzend Schubladen in der hölzernen Kommode, auf der eine Wasserkanne und eine Waschschüssel standen, hatte unterschiedliche Griffe. Ein kleines Stück Spiegelglas hing an der Wand. Einen Schrank gab es nicht, lediglich zwei Haken an der Tür. Am Boden neben dem Bett sah Pitt einen Vorleger.
    »Sehr schön«, sagte er. Er fühlte sich um Jahre zurückversetzt, und es kam ihm vor, als wäre er wieder ein kleiner

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