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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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des Tages brauchte, ging sie wieder nach oben, um sich umzuziehen. Es kam ihr vor, als hätte sich Gracie ihren Aufgaben gegenüber sonderbar teilnahmslos gezeigt, doch da auch sie selbst gegenwärtig kein besonderes Interesse daran hatte, war das nicht weiter wichtig.
    Zum Ausgehen entschied sie sich für ein gut geschnittenes, weich fließendes dunkelgrünes Kleid, das sie gekauft hatte, weil sie es nicht nur eine Saison lang tragen würde. Es schmeichelte ihr nicht nur, es war auch so zurückhaltend, dass sie es ohne weiteres bei einem Besuch in einem Trauerhaus tragen konnte. Ein gemusterter oder heller Stoff wäre unangebracht gewesen.
    Ihrer Frisur wandte sie besondere Aufmerksamkeit zu, denn ihrer Überzeugung nach fiel oder stand damit ihre ganze Erscheinung. Für alles andere würden eine gute Haltung und ein freundliches Lächeln sorgen. Es hatte ziemlich lange gedauert, bis sie gelernt hatte, sich selbst zu frisieren.
    Da sie mit ihrem Geld haushalten musste, nahm sie statt einer Droschke den Pferde-Omnibus und ging den Rest des
Weges zu Fuß. Ohnehin war es ein herrlicher Tag. Natürlich wusste sie von Pitt, wo Martin Fetters gelebt hatte, außerdem hatte die Anschrift in den Zeitungen gestanden. Abgesehen von den vorgezogenen Vorhängen, unterschied sich das ansehnliche Haus in der Coram Street zwischen Woburn Place und Brunswick Square in nichts von den anderen. Falls nach Fetters’ Tod Stroh auf der Fahrbahn gelegen hatte, um das Geräusch der vorüberkommenden Kutschen und Fuhrwerke zu dämpfen, war davon nichts mehr zu sehen.
    Ohne zu zögern, ging Charlotte die Treppe zur Haustür empor und betätigte den Klopfer. Sie hatte keine Vorstellung, ob Mrs. Fetters sie hereinbitten oder ihren Besuch als zudringlich betrachten würde. Sie machte sich aber auch keine Gedanken darüber, denn was ihr Vorhaben betraf, sah sie keine andere Möglichkeit.
    Ein feierlich wirkender Butler öffnete und sah sie mit höflicher Teilnahmslosigkeit an.
    »Meine Dame?«
    Sie hatte sich zurechtgelegt, was sie sagen wollte. »Guten Morgen.« Sie hielt ihm ihre Karte hin. »Würden Sie die bitte freundlicherweise Ihrer Herrin geben und sie fragen, ob sie mir einige Augenblicke ihrer Zeit widmen kann? Die Angelegenheit, in der ich komme, ist für mich äußerst wichtig und unter Umständen auch für sie selbst. Es hat mit meinem Mann, Oberinspektor Thomas Pitt, zu tun, der die Nachforschungen im Fall von Mr. Fetters’ Tod geführt hat. Er selbst kann leider nicht kommen.«
    Der Butler sah erstaunt drein. »Ich verstehe.« Er schien nach passenden Worten zu suchen. Es war deutlich zu sehen, dass ihm die Situation nicht vertraut war und er noch immer unter den Nachwirkungen der letzten zwei Monate stand. Er speiste sie nicht mit der höflichen Floskel ab, dass er erst nachsehen müsse, ob die Dame im Hause sei, sondern sagte: »Natürlich erinnere ich mich an Ihren Gatten. Er hat uns sehr zuvorkommend behandelt. Ich werde Sie meiner Herrin melden. Wenn Sie bitte inzwischen im Damenzimmer Platz nehmen wollen.«
    Er geleitete sie in einen kleinen, freundlichen Raum, in den die Morgensonne fiel. An den Wänden hingen der Mode entsprechend
chinesische Drucke, und auf den Möbeln stand mit goldenen Chrysanthemen bemaltes Porzellan. Nach wenigen Minuten kehrte der Butler zurück und führte sie in einen in Grün und Rosa gehaltenen Raum, der auf den Garten hinausging. Man sah ihm an, dass es das Boudoir der Hausherrin war. Juno Fetters, eine gut aussehende, füllige Frau, trat würdevoll auf. Zwar war sie brünett, doch hatte sie eine sehr helle Haut. Selbstverständlich trug sie von Kopf bis Fuß Schwarz, was ihr besser stand als den meisten Frauen.
    »Mrs. Pitt«, sagte sie neugierig. »Treten Sie bitte näher, und machen Sie es sich bequem. Ich habe die Tür offen gelassen, weil die Luft draußen so angenehm ist.« Sie wies zum Garten hin. »Aber falls Ihnen kalt ist, schließe ich sie gern wieder.«
    »Nein, vielen Dank«, sagte Charlotte und setzte sich ihr gegenüber. »Es ist gut so. Das Gras duftet ebenso herrlich wie Blumen, und manchmal rieche ich es sogar lieber.«
    Die andere sah sie beunruhigt an. »Buckland sagte mir, dass Mr. Pitt nicht selbst kommen kann. Ich hoffe, ihm fehlt nichts.«
    »Keineswegs«, versicherte ihr Charlotte. Sie musterte das intelligente, eigenwillige Gesicht ihres Gegenübers und beschloss, ihr die Wahrheit zu sagen, abgesehen von Pitts Aufenthaltsort, über den sie selbst so gut wie nichts

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