Die Verschwörung
weißem Pulver. In einer anderen Ecke lag ein Medizinball.
An den Wänden hingen einige Fotos von Männern in weißen Marineuniformen. Faith erkannte Lee auf den ersten Blick. Er hatte mit achtzehn Jahren fast genauso ausgesehen wie heute. Natürlich hatte die Zeit seine Gesichtszüge verwittert, doch die Falten machten ihn nur anziehender und verführerischer. Warum, verdammt noch mal, sahen Männer mit zunehmendem Alter immer besser aus? Sie entdeckte Schwarzweißfotos, auf denen Lee in einem Boxring zu sehen war. Auf einem Bild hob er in Siegerpose den Arm. Vor seinem breiten Brustkorb baumelte eine Medaille. Sein Gesichtsausdruck war gelassen, als hätte er mit dem Sieg gerechnet. Oder als sei er nicht bereit, Niederlagen hinzunehmen.
Faith versetzte dem schweren Punchingball mit lockerer Faust einen leichten Schlag - und auf der Stelle tat ihr die Hand weh. Sofort mußte sie daran denken, wie groß und kräftig Lees Hände waren. Knöchel wie eine Bergkette. Ein sehr starker, einfallsreicher, zäher Mann. Sie hoffte nur, daß er auf ihrer Seite blieb.
Sie ging ins Schlafzimmer. Auf der Nachtkonsole neben Lees Bett lag ein Handy, daneben ein tragbares Alarmgerät. Gestern abend war Faith zu müde gewesen, als daß sie es bemerkt hätte. Sie fragte sich, ob er mit einer Waffe unter dem Kopfkissen schlief. Litt er wirklich an Verfolgungswahn oder wußte er etwas, von dem der Rest der Welt keine Ahnung hatte?
Plötzlich fiel ihr etwas ein. Hatte er keine Angst, daß sie sich aus dem Staub machte? Faith ging in den Flur zurück. Auf der Vorderseite der Wohnung gab es kein Durchkommen; hier würde er sie sehen. Aber es gab eine Hintertür gegenüber der Küche, die zur Feuerleiter führte. Faith ging dorthin und versuchte die Tür zu öffnen. Sie war abgeschlossen. Verriegelt. Eine Tür von der Art, die man auch von innen nur mit einem Schlüssel öffnen konnte. Auch an den Fenstern waren Schlösser. Zwar ärgerte es Faith, auf diese Weise gefangen zu sein, aber in Wahrheit hatte sie schon in der Falle gesessen, bevor Lee Adams so plötzlich in ihr Leben getreten war.
Faith schaute sich weiter in der Wohnung um und lächelte, als sie seine Schallplattensammlung (mit Originalhüllen) und ein gerahmtes Plakat aus dem Film Der Clou entdeckte. Sie bezweifelte, daß Lee einen CD-Player besaß oder einen Anschluß fürs Kabelfernsehen.
Sie öffnete eine weitere Tür und betrat einen Raum. In dem Moment, als sie den Lichtschalter betätigen wollte, erregte ein Geräusch ihre Aufmerksamkeit. Sie trat ans Fenster, schob die Jalousien zwei Fingerbreit zur Seite und schaute hinaus.
Draußen war es hell geworden, auch wenn der Himmel noch immer grau und dämmerig war. Sie sah niemanden, aber das hatte nichts zu sagen. Sie hätte von einem Heer umzingelt sein können, ohne es zu bemerken.
Faith schaltete das Licht ein und schaute sich überrascht um: Sie sah einen Schreibtisch, Aktenschränke, eine moderne Telefonanlage und Regale voller Handbücher. An der Wand hingen Korkplatten, an denen Notizzettel befestigt waren. Auf dem Schreibtisch erblickte sie sauber ausgerichtete Akten, einen Kalender und den üblichen Schreibtischkram. Lees Wohnung diente offenbar auch als Büro.
Wenn dies sein Büro war, fand sich hier vielleicht auch ihre Akte. Lee würde wahrscheinlich noch ein paar Minuten fort sein. Faith machte sich daran, die Papiere auf dem Tisch durchzusehen. Dann ging sie die Schreibtischschubladen durch und suchte in den Aktenschränken weiter. Lee war bestens organisiert und hatte - wie sie an den Etiketten erkannte - sehr viele Klienten, hauptsächlich Unternehmen und Anwaltskanzleien. Strafverteidiger, vermutete Faith, denn die Staatsanwaltschaft verfügte über eigene Schnüffler.
Das Telefon klingelte so plötzlich, daß ihr beinahe das Herz stehengeblieben wäre. Zitternd näherte sie sich dem Apparat. Das Tischgerät verfügte über eine LCD-Anzeige, auf der auch die Nummer des Anrufers erschien. Es war ein Ferngespräch mit der Vorwahl 215. Philadelphia, fiel ihr ein. Lees Stimme meldete sich und sagte dem Anrufer, er solle nach dem Piepton eine Nachricht hinterlassen. Als der Anrufer sich meldete, erstarrte sie.
»Wo ist Faith Lockhart?« fragte Danny Buchanans Stimme. Er klang ziemlich sauer und schoß ein paar rasche Fragen ab: Was hatte Lee in Erfahrung gebracht? Er, Buchanan, wollte Antworten, und zwar auf der Stelle. Er hinterließ eine Telefonnummer; dann legte er auf.
Langsam wich Faith ein paar
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