Die Verschworenen
verstreichen lassen, dieses Dossier in die Hände zu bekommen.
Mitten im größten Trubel – ich stehe heute an der Getränkeausgabe – ruft Gelunda mich zu sich. »Eine Lieferung ins Chemielabor. Beeil dich, der Mann sagt, ihm ist schon ganz schlecht vor Hunger.«
Es ist nicht das erste Mal, dass ich von der Theke weggeholt werde. Theoretisch ist jeder Mitarbeiter hier auf Abruf, falls jemand Wichtiges eine Bestellung aufgibt, weil er seine Tätigkeit nicht für eine richtige Pause in der Kantine unterbrechen will. Gelunda erweist sich als gute Chefin; sie schickt meist diejenigen, von denen sie weiß, dass sie sich gern die Beine vertreten.
Ein grünes Tablett mit einem sehr großen Becher Wasser und einem Glas Saft. Brot, Linseneintopf, ein Ei. Angeblich gibt es in einer der Kuppeln eine Hühnerzuchtstation, aber bis dorthin bin ich noch nicht vorgedrungen.
7b. Ich laufe an der Pilzbank vorbei und frage mich flüchtig, was ich Aureljo heute Abend dort zu erzählen haben werde. Ob ich ihn überhaupt treffen kann oder ob ich bis dahin mich, wenn nicht gar uns alle, in einen entsetzlichen Schlamassel geritten habe.
Das Chemielabor liegt links, es ist ein quadratischer, cremefarbener Block. Ich suche Raum 8 und finde ihn an der Hinterseite.
Mein Ellenbogen drückt gegen den Schalter der Sprechanlage. »Bringdienst ist da!«
Es dauert. So lange, dass ich mich zur Sicherheit vergewissere, dass ich mich auch wirklich vor der richtigen Tür befinde. Schließlich ertönt das Summen doch noch, das Schloss springt auf und ich trete ein.
Der Mann kniet auf dem Boden. Sein Gesicht ist so weiß wie sein Arbeitskittel und es glänzt vor Schweiß. Seine Lippen sind bläulich verfärbt, neben ihm liegt eine transparente Phiole, aus der eine klare Flüssigkeit ausgelaufen ist.
Ein medizinischer Notfall.
Ich muss nicht nachdenken, die einzelnen Schritte sind mir in Fleisch und Blut übergegangen, so oft haben wir sie an der Akademie trainiert.
Mit einer Hand stelle ich das Tablett ab, mit der anderen drücke ich den Notfallknopf des stationären Terminals. Es dauert kaum drei Sekunden, bis sich eine weibliche Stimme meldet.
»Medpoint, ich höre.«
»Kuppel 7b, Chemielabor, Raum 8«, gebe ich durch. »Mann, etwa vierzig Jahre, zyanotisch, eventuell Herzinfarkt, Embolie oder Vergiftung. Ich leiste Erste Hilfe, beeilen Sie sich.«
»Verstanden. Chemielabor, 7b, Raum 8.«
Der Mann liegt jetzt auf dem Boden, schnappt nach Luft. Nur ein einziges Mal.
Ich suche seinen Puls, finde keinen, nicht am Hals, nicht an der Brust.
Mantel öffnen, Hemd aufreißen. Ich schreie ihn an, er reagiert nicht, sein Brustkorb ist regungslos wie der einer Puppe.
Und immer noch kein Puls zu fühlen.
Ich lege die rechte über die linke Hand, verschränke die Finger und suche die Mitte des Brustbeins. Dreißig Mal pumpen, zweimal beatmen. Nächster Durchgang. Zwischendurch prüfen, ob das Herz wieder angesprungen ist.
Während des vierten Durchgangs bemerke ich, wie gut ich mich fühle, trotz aller Dramatik der Situation. Endlich tue ich wieder etwas, das ich kann und von dem ich überzeugt bin, dass es richtig ist.
Die Ärztin trifft mitten im elften Durchgang ein, begleitet von einem Sanitäter und zwei Trägern. Ich stehe auf und trete zurück, während sie die Pads des Defibrillators an den richtigen Stellen festklebt.
Ein erster Stromstoß. Nichts. Ein zweiter. Diesmal meldet das Gerät Erfolg.
Der Mann wird auf die Trage gehoben und hinausgebracht, die Ärztin bleibt an seiner Seite, winkt mir aber zu, ihr zu folgen. Während wir im Laufschritt durch die Kuppel hasten, dreht sie den Kopf zu mir. Ihr Haar ist rot und zu einem Zopf geflochten.
»Hast du vorhin den Notruf abgesetzt?«
»Ja.« Mir schwant, dass meine Professionalität für ein Kantinenmädchen etwas untypisch wirken könnte. »Ich habe früher im Pflegedienst gearbeitet.«
»Das merkt man. Warte hier.« Wir haben den Medpoint erreicht und sie deutet auf eine Sitzreihe im Eingangsbereich.
Der vertraute Geruch von Bodendesinfektionsmittel umhüllt mich und ich lehne mich zurück. Überlege, ob ich gerade einen Fehler begangen habe, schiebe den Gedanken aber sofort beiseite. Nicht zu helfen, um meine Tarnung zuverlässig aufrechterhalten zu können, wäre unverantwortlich gewesen.
Allerdings wünschte ich, die Ärztin hätte mich nicht gebeten, mitzukommen. Ich will nicht auffallen, auch nicht durch eine Belobigung. Davon abgesehen, ist von den vier Stunden bis
Weitere Kostenlose Bücher