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Die Verschworenen

Die Verschworenen

Titel: Die Verschworenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Hände gestützt, die Augen starr geradeaus gerichtet. Er wirkt auf mich völlig übermüdet, wahrscheinlich hat er nicht geschlafen. Der Silberhaarige lehnt an der Wand und tippt etwas in sein tragbares Datenterminal.
    »Endlich«, sagt er, als ich eintrete. »Einfach auf den Tisch stellen, ja?«
    »Natürlich«, flüstere ich.
    Nicht enttäuscht sein. Es wäre ein großer Zufall gewesen, wenn sich wieder die gleiche Gelegenheit wie beim letzten Mal ergeben hätte. Ich hätte sie damals ergreifen sollen, spontan und ohne zu zögern.
    Auf der Ablage rechts leuchtet es rot. Es ist das Dossier, es ist nur fünf kleine Schritte von mir entfernt und trotzdem unerreichbar. S NMN . Ich erkenne es aus den Augenwinkeln.
    Es ist schlimmer, als völlig im Dunkel zu tappen. Ich weiß, wo ich die Lösung finde oder zumindest einen großen, wichtigen Teil davon, aber ich muss den Raum verlassen, ohne auch nur einen Blick darauf werfen zu können.
    Kurz bevor ich die Tür erreiche, ruft der Silberhaarige mich zurück. »He du, warte. Wie heißt du?«
    Das hat nichts zu bedeuten. Ruhig bleiben. Nicht aus der Rolle fallen. »Sindra.«
    »Na, das ist doch ein hübscher Name. Sindra, wir möchten in den nächsten vier Stunden nicht gestört werden. Hol du das Geschirr später wieder ab. Vier Stunden.«
    Was er von mir verlangt, fällt eigentlich in den Tätigkeitsbereich der Putzbrigaden.
    Ich nicke ihm zu und sehe sein Lächeln. Ab dem Moment ist mir alles klar.
    Meine erste Reaktion ist Erleichterung. Er hält mich nicht für verdächtig, ich gefalle ihm nur. Mit einiger Sicherheit wird er, wenn ich nach Ablauf der angegebenen Zeit wiederkomme, allein sein und dann …
    Das mit der Erleichterung war wohl doch voreilig.
    Ich schließe leise die Tür hinter mir und gehe zurück zur Kantine, langsam. Ich brauche ein paar Minuten, um nachzudenken.
    Einfach nicht wiederkommen, wäre die simpelste Lösung. Das würde keine Vernachlässigung meiner Pflichten bedeuten, weil Abräumen gar nicht dazuzählt. Allerdings kennt der Mann jetzt meinen Namen und kann mich ausfindig machen. Mir etwas anhängen, aus reiner Bosheit.
    Ich erinnere mich an einen Fall aus der Sphäre Hoffnung: Ein höherer Beamter beschuldigte ein Mädchen aus der Wäscheabteilung, ihn beklaut zu haben. Insgeheim waren alle davon überzeugt, dass es sich dabei um einen Racheakt handelte, denn in den Wochen davor war der Beamte mehrmals dabei beobachtet worden, wie er dem Mädchen nachgestellt hatte. Trotzdem wurde am Ende die Wäscherin versetzt, nicht er.
    Ein Exekutor hat noch ganz andere Mittel, jemanden in Schwierigkeiten zu bringen. Er müsste nur behaupten, ich hätte in seinen Unterlagen herumgeschnüffelt, um mich in eins der Arbeitslager deportieren zu lassen. Oder Schlimmeres. Bei Spionage und Verrat versteht der Sphärenbund keinen Spaß, das habe ich ja schon einmal am eigenen Leib erfahren.
    Aber wenn ich wie bestellt bei ihm auftauche und er allein ist …
    Das rote Dossier wird vielleicht noch dort liegen, wo ich es gerade eben gesehen habe. Zumindest wird es im Raum sein, und wenn ich mich geschickt anstelle …
    Ich denke den Gedanken nicht weiter, weil sich mein gesamter Stolz angesichts der Vorstellung, mich von dem Silberhaarigen anfassen zu lassen, aufbäumt. Und mit Anfassen wäre es vermutlich nicht getan.
    Kann ich mich auf so etwas einlassen? Ist es ein zu hoher Preis, um endlich zu begreifen, was vor sich geht?
    Die Ungerechtigkeit, dass Aureljo oder Dantorian sich niemals Entscheidungen dieser Art stellen müssen, lässt Wut in mir hochkochen. Absolut sinnlos. Sie bringt nichts und richtet sich gegen die Falschen.
    Ich vermisse Grauko so sehr. Er wüsste, was zu tun ist. Werde dir klar darüber, was du willst , würde er möglicherweise sagen. Versuche abzuschätzen, was es dich kostet, und entscheide dann, ob es dir das wert ist .
    Allein der Gedanke an ihn hebt meine Laune. Das wäre doch gelacht. Ich bin so gut trainiert, ich kann auch diesen Sentinel manipulieren. Wenn er vorhat, was ich vermute, ist er zumindest in menschlicher Hinsicht nicht allzu klug. Er lässt sich auf mich ein, ohne mich zu kennen, und das nur, weil ich die Kleidung einer Arbeiterin trage.
    Obwohl ich mir so viel Zeit gelassen habe, kommt die Kantine bereits in Sicht. Die Plätze sind erst zur Hälfte besetzt, doch das wird sich in den nächsten zehn Minuten ändern.
    Ich beschleunige meine Schritte. Mein Entschluss ist gefasst. Ich werde keine Gelegenheit

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