Die Verschworenen
Sphären ausgebildet worden und durch widrige Umstände in der Außenwelt gelandet.
Ging es ihm wie uns? Ist er geflohen? Oder wurde er vertrieben?
Ich werde es erfahren, vermute ich, wenn ich den Rest seiner Aufzeichnungen finde. Jordans Aufzeichnungen.
Bin ich zu voreilig, wenn ich aus den zwei Buchstaben am Blattrand darauf schließe, dass ich es mit einem Teil des Buchs zu tun habe, das der farblose Sentinel so dringend finden wollte? Weil es etwas mit der Verschwörung zu tun hat, in die wir angeblich verwickelt sind. Auch Gorgias, der Rektor unserer Akademie, war sofort hellhörig geworden, als der Titel erwähnt wurde, es muss also etwas Bedeutsames enthalten.
Ich suche weiter, mit doppelter Kraft. Immer wieder stoße ich auf lose Blätter und jedes Mal schlägt mein Herz schneller, doch keins ist von Hand geschrieben. Keins erzählt mir mehr darüber, wie Jordans Leben vor neunzig Jahren weiter verlaufen ist.
4
An diesem Abend kehre ich später in unser Gewölbe zurück als sonst, und auch deutlich erschöpfter. In meinem Ärmel habe ich die sorgfältig zusammengefaltete Seite aus der Chronik versteckt, um sicherzugehen, dass sie nicht abhandenkommt. Ich würde Aureljo gern davon erzählen, aber wieder ist es Tomma, um die ich mich zuerst kümmern muss. Sie hat ihre lethargische Haltung aufgegeben und steht mit verschränkten Armen in der Mitte des Raums. Ihre Augen wirken immer noch entzündet, aber weniger stumpf als heute Morgen.
»Lasst mich durch«, sagt sie.
Aureljo und Tycho stehen vor ihr, beide schütteln entschlossen den Kopf.
»Du wirst uns nicht mutwillig in Gefahr bringen. Uns und alle Schwarzdornen.« Die Bestimmtheit des Anführers , hat Grauko diesen speziellen Ton immer genannt. Ich habe ihn während meiner Zeit an der Akademie vielfach trainiert; Aureljo beherrscht ihn perfekt. Es liegt nicht der kleinste Hauch von Aggression darin, doch auch keinerlei Raum für Widerspruch.
Tomma lässt die Arme sinken, weicht aber nicht zurück. »Ich will hier raus. Sonst werde ich verrückt.«
»Du hättest uns begleiten können, mich und Dantorian oder Ria. Sie hat es dir mehrfach angeboten, nicht wahr?«
Trotzig hebt Tomma ihr Kinn. »Ich will aber nicht in die Bibliothek, dort bin ich genauso lebendig begraben wie hier. Ich will unter freien Himmel.« Sie unterbricht sich, ihr Blick wandert zur Seite, hakt sich dann wieder an Aureljo fest. »Zu Yann.«
Es ist an der Zeit, mich einzumischen. Ich kenne Tomma am besten von uns allen und ich weiß, dass sie sonst nicht so uneinsichtig reagiert.
»Ich verstehe dich so gut.« Das ist die volle Wahrheit. Meine Sehnsucht nach draußen ist mindestens so groß wie ihre. Ich gehe zu ihr, lege ihr einen Arm um die Schultern, wie früher. Überraschenderweise lässt sie sich die Berührung gefallen. »Wir brauchen jetzt Geduld. Ein paar Wochen, vielleicht zwei oder drei Monate. Dann kann alles ganz anders ausseh–«
Mit einer groben Bewegung macht sie sich von mir los. »Ja«, faucht sie, »für dich ist das einfach. Du hast ja auch Aureljo, der dir nachts den Rücken wärmt, du bist nicht allein.« Tomma zieht eine Grimasse, blinzelt Tränen weg. »Ich will zu Yann. Ich weiß, ihr könnt ihn nicht leiden, aber ich kenne keinen anderen Menschen, der so unverfälscht ist. Immer sagt, was er denkt, auch wenn es nicht das ist, was die anderen gern hören wollen.«
Wie zum Beispiel: Wer zurückbleibt, wird zurückgelassen. Aber nicht lebend . Yanns Worte, nachdem wir vom Clan aufgegriffen worden waren und er Tomma verboten hatte, ihre Thermostiefel wieder anzuziehen.
Erinnert sie sich nicht mehr daran? Wie sie seinetwegen in dünnen Socken im Schnee stehen musste? Sie war schon zu diesem Zeitpunkt erkältet und der Gedanke, dass sie sich dank Yanns damaliger Quälerei nie richtig erholt hat, ist nicht allzu weit hergeholt.
»Du bringst auch Yann in Gefahr, wenn du dich draußen zeigst. Unsere Verfolger lassen den Clan nicht aus den Augen.«
Tomma sieht mich an, nagt an ihrer Unterlippe. »Er würde mich sehen wollen.«
Da bin ich mir nicht so sicher. Er war nicht einmal unter denen, die sich von uns verabschiedet haben, als wir unsere angebliche Reise in die Ferne antraten.
»Natürlich«, antworte ich dennoch. »Aber es wäre zu unser aller Nachteil.«
Ich sehe das Aufblitzen in ihren Augen erst einen Moment, bevor sie sich gegen mich wirft. Zu wenig Zeit, um auszuweichen, aber immerhin stürze ich nicht zu Boden, sondern taumle nur gegen
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