Die Verschworenen
trug, das wir mitgenommen hatten. In meinem Traum sind wir davongekommen, so wie im wahren Leben, aber Laverans Stimme hat mich die ganze Nacht verfolgt, lauter mit jedem Schrei, schriller. »Jordan, Jordan, Jordan.«
Heute Morgen war ich wie …
Hier ist die Seite zu Ende. Ich drehe sie hin und her, als ob ich sie auf diese Weise dazu bringen könnte, mehr Text auszuspucken.
Jordan.
Also ist es wahr. Ich habe die Chronik gefunden, oder zumindest das, was von ihr übrig ist.
Beim ersten Lesen habe ich die Zeilen voller Gier und Hast überflogen, jetzt studiere ich sie genauer.
Jordan muss aus einer Sphäre geflohen sein, so viel ist klar. Er und seine Freunde hatten Ausrüstung auf einen Schlitten gepackt und zu fünft den Weg in die Wildnis angetreten, verfolgt von Sentineln. Einer der Männer, Laveran, war gefasst worden, was aus Chendar und Porter geworden ist, steht hier nicht. Jordan muss es jedenfalls geschafft haben und außer ihm noch jemand namens Dhalion – dem die Kälte nichts auszumachen scheint, im Gegenteil. Klar wird auch, dass Jordan einen Plan hatte, den er für überaus wichtig hielt.
Hat er die Sphären wegen Glenna verlassen? Oder ist sie ihm erst während seiner Flucht begegnet? Was war es, das er ausprobieren wollte? Ist es ihm gelungen?
Das Blatt in meiner Hand beantwortet keine dieser Fragen. Der Autor muss längst tot sein, aber vielleicht gibt es jemanden im Clan, der ihn kannte?
Ich könnte mit Quirin sprechen. Falls er weiß, wer Jordan war, weiß er möglicherweise auch, weshalb die Sphären so scharf auf seine Chronik sind.
Meine Entdeckungsreise durch die Schächte und Kanäle verschiebe ich auf ein anderes Mal, ich habe es eilig, meinen Fund mit Aureljo, Tycho und Dantorian zu teilen. Doch als ich in unser Gewölbe zurückkehre, vergesse ich die Chronik innerhalb von Sekunden. Etwas anderes erweist sich als viel dringender.
Es ist Tomma. Ihr Zustand hat sich in den letzten Stunden dramatisch verschlechtert. Tycho, der heute bei ihr geblieben ist, hat Tränen in den Augen.
»Ich wollte Hilfe holen, aber ich konnte sie doch nicht allein lassen. Ich habe mir ehrlich gewünscht, in einer Sphäre zu sein, da hätte ihr Salvator den nächsten Medpoint angefunkt, aber …« Er zuckt die Schultern. »Sie atmet so schwer und ihr Fieber ist wieder gestiegen. Wenn ich sie anspreche, reagiert sie nicht.«
Ich mache noch auf der Schwelle kehrt. »In fünfzehn Minuten bin ich mit Quirin zurück. Bleib bei ihr. Versuche, ihr leicht gegen den Rücken zu klopfen, manchmal erleichtert das das Atmen. Hast du Kurse in medizinischem Notfalltraining belegt?«
Er nickt. »Habe ich, aber du musst nicht gehen. Aureljo ist schon unterwegs, er sollte gleich zurück sein. Und Dantorian sucht Fiore, sie gehört auch zu den Clanleuten, die medizinische Kenntnisse haben.« Er streicht Tomma eine schweißverklebte Haarsträhne aus der Stirn. »In solchen Momenten verstehe ich Aureljo. Zu wissen, dass es in Vienna 2 jede Menge Medikamente gäbe und Tomma in ein paar Stunden wieder auf den Beinen wäre … und hier können wir überhaupt nichts für sie tun.«
Ich lausche nach draußen, da war ein Geräusch – hoffentlich Quirin. Aber offenbar habe ich mich verhört oder es war nur eine der Ratten, die immer wieder an unserem Quartier vorbeihuschen.
Weil es das Einzige ist, was mir einfällt, nehme ich einen unserer vier Wasserkanister und tränke den Zipfel meiner Decke damit. Wahrscheinlich bilde ich es mir nur ein, aber der kühle Stoff auf ihrer Stirn scheint Tomma gutzutun. Ihre Haut ist heiß und trocken wie die frische Wäsche, die wir in den Sphären auf die Zimmer geliefert bekamen.
Die größten Sorgen machen mir die Geräusche, die Tomma beim Atmen von sich gibt. Ich habe so etwas noch nie gehört. Wie ein Kind, das mit einem Strohhalm Luft in ein Glas Wasser bläst, bis die Flüssigkeit blubbert. Es fühlt sich so an, als wäre mindestens eine Stunde vergangen, doch wahrscheinlich dauert es nur zehn Minuten, bis Aureljo und Quirin endlich da sind.
Aureljo kniet sich hinter Tomma und stützt ihren Oberkörper, während Quirin ihren Puls kontrolliert, mit einer Art Trichter ihre Lunge abhört und zum Schluss ihre immer noch entzündeten Augen untersucht.
Als er sich aufrichtet und uns ansieht, kann ich nichts aus seiner Miene lesen, obwohl ich mir große Mühe gebe. Da ist weder Hoffnung noch Resignation noch Ratlosigkeit.
»Sie hat keine Schmerzen, und es wird ihr besser gehen,
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