Die Verschworenen
Arm.
»Es vergeht wieder. Aber das weißt du sicher.«
Vor dem Eingang in den Untergrund bleibe ich noch einmal stehen. Meine Augen haben sich erholt, die Flecken sind kleiner geworden, und ich will so viele Bilder von der Welt unter der Sonne in meinem Kopf sammeln, wie ich nur kann. Wer weiß, wann ich sie wiedersehen werde.
»Komm.« Sandors ausgestreckter Arm deutet auf das kreisrunde Loch, hinter dem tiefes Schwarz wartet. »Du zuerst, Liebling.«
6
Bücher rechts und links, Stapel so hoch wie ich selbst. Ich summe, während ich Ordnung ins Chaos bringe. Ab sofort bin ich nicht mehr verloren in den dunklen Gedärmen der Ruinenstadt. Sandor hat mir die Taschenlampe dagelassen. Es ist eine von denen, die einen Hebel haben, mit dem man pumpen muss, um das Lämpchen zum Leuchten zu bringen.
Ich werde es Tycho gleichtun können und die Gänge unter der Stadt erforschen. Heute, gleich nachdem ich den Weg zum nächsten Regal freigeräumt habe.
Ein Teil der Bücher, die dort den Boden bedecken, muss vor langer Zeit nass geworden und dann wohl gefroren sein, jetzt sind die Seiten wieder biegsam, aber sie wellen sich und sind kaum voneinander zu lösen.
Mit Bedauern lege ich einen Band nach dem anderen auf den Stapel der nicht zu rettenden Bücher. Die Flüssigkeit, mit der sie durchtränkt wurden, kann kein Wasser gewesen sein, dafür sind die Flecken zu dunkel, das rötliche Braun macht auch die Stellen unleserlich, die nicht verklebt sind.
Dann habe ich endlich Zugang zu dem Regal. Es muss einmal ein System gegeben haben, nach dem die Bücher geordnet waren. Dantorian hätte seine Freude an dieser Ecke des Tiefspeichers, denn es gibt hier kiloweise Werke über Malerei.
Ich finde einen schweren Band mit glänzenden Abbildungen. Die, die ich zufällig aufgeschlagen habe, zeigt das Gemälde eines kahlköpfigen alten Mannes, der mit einer Art rotem Tuch bekleidet ist, das seine Brust frei lässt. Er sitzt an einem Tisch und tut das Gleiche wie ich: Er betrachtet Bücher. In einem liest er gerade und macht sich dabei Notizen, ein zweites liegt aufgeschlagen am Rand des Tisches. Obendrauf, als würde er den Mann aus leeren Augenhöhlen beobachten, thront ein Totenschädel.
Der heilige Hieronymus von Antonio Caravaggio , lautet die Beschreibung, die unterhalb des Bildes abgedruckt ist. Ich streiche mit der Fingerkuppe erst über den haarlosen Kopf des Mannes, dann über die knochige Wölbung des Totenschädels und frage mich, was mit dem Gemälde passiert sein mag. Ob es die Lange Nacht überlebt hat? Ist es in eine der Sphären gerettet worden oder hängt es in einem der alten Museen? Brüchig vom Eis und bald schwarz vor Schimmel?
Mit besonderer Behutsamkeit stelle ich den schweren Band ins Regal zurück, weit nach oben, als könnte ihn das vor zerstörerischen Kräften bewahren. Dabei rutscht er mir fast aus der Hand und zwischen den Seiten wird ein loses Blatt sichtbar.
Ich weiß sofort, was es ist. Das Format, die Handschrift, alles stimmt. Meine Finger zittern, als ich es aus dem Buch ziehe, meine Augen suchen hektisch nach dem Kürzel am unteren Seitenrand. Ja, da ist es: JC.
Ein neu begonnener Stapel zerstörter Bücher dient mir als Hocker. Die Buchstaben wirken blass und ich richte die Lampe darauf, um sie besser lesen zu können. Der Text beginnt mitten in einem Satz.
… getan, was ich konnte. Dhalion hat alles gut überstanden und die Kälte hier draußen tut ihr Übriges, dass es auch so bleibt. Wenn ich mich tief unter die Erde zurückziehe, finde ich Räume und Kavernen, in denen es wärmer ist als irgendwo sonst in der Außenwelt. Eine davon darf ich für mich beanspruchen, hier habe ich alles aufgebaut, was ich brauche, und schütze es vor Frost, so gut ich kann.
Glenna ist eine unschätzbare Hilfe. Ich habe ihr erklärt, was ich getan habe, und erst war sie fassungslos, aber nun hat sie begriffen, dass ich nicht mehr derselbe bin wie früher. Ich habe ihr erzählt, was wir herausgefunden haben, alles, auch das, was ich selbst kaum glauben kann. Gemeinsam haben wir um die Toten geweint. Und um die Lebenden.
Meine Träume beginnen mir Angst zu machen. Letzte Nacht war ich wieder auf der Flucht und Laveran war hinter mir. Dann ist alles so gekommen wie damals: Sie haben ihn geschnappt und er hat nach mir gerufen, voller Panik, aber ich bin nur schneller gelaufen, schneller, immer schneller, genauso wie Chendar und Porter. Wir mussten uns retten, uns und den Schlitten, der all das Wertvolle
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