Die Verschworenen
sein, dass ich mich an ihn erinnere. Jedenfalls entschuldige ich mich in Gedanken bei ihm dafür, dass ich erleichtert bin.
»Aber von den Scharten hat gut ein Dutzend dran glauben müssen«, fährt Fiore fort, nicht ohne Genugtuung. »Dämlicher Haufen. Als ob sie nicht wüssten, dass sie gegen uns immer den Kürzeren ziehen.«
Sie richtet sich auf, ihr Atem geht wieder ruhig und lautlos. »Ich gehe zurück, Quirin wird meine Hilfe brauchen. Gute Nacht.«
Es wird eine gute Nacht, zumindest im Vergleich zu meinen düsteren Erwartungen. Das Mittel, das Quirin ihr verabreicht hat, scheint Tomma zu helfen, sie schläft über weite Phasen durch. Wir wachen abwechselnd bei ihr, Dantorian als Erster. Er hält Abstand, seine Angst vor Ansteckung ist unübersehbar. Während er neben Tomma sitzt, zeichnet er im sparsamen Schein der Leuchte ihr schlafendes Gesicht. Er zeigt mir das Bild, als er mich weckt, damit ich ihn ablöse.
Ich lehne mich gegen die Wand, ziehe die Knie an die Brust und stütze mein Kinn darauf ab. Wach bleiben, während alle um mich herum sich in das sorglose Vergessen des Schlafs retten dürfen, ist eine Sache, die ich noch nie gemocht habe. In der Nacht bekommen meine Gedanken Zähne und meine Ängste eine zusätzliche Dimension.
Kann es sein, dass die Scharten von jemandem aus den Sphären angeheuert worden sind, um den Clan zu überfallen? Ging es am Ende wieder um uns?
Die Taktik wäre nicht neu, beim letzten Mal waren es zwei Schlitzer, die nicht nur scheußliche Waffen, sondern auch Fotos von uns bei sich hatten. Da war die Sache klar. Aber jetzt? Es weiß doch niemand, dass wir immer noch hier sind.
Ich schlinge die Arme fest um meine Knie. Es war ein Fehler, an die Schlitzer zu denken. Jetzt sehe ich bei jedem Geräusch ihre vernarbten Gesichter vor mir und die spitz gefeilten Zähne.
Am liebsten würde ich Aureljo wecken. Er ist nach mir an der Reihe, sich um Tomma zu kümmern, und er wird dieser Aufgabe sicher besser gerecht werden als ich. Ich bin viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt.
Aber ich habe Disziplin gelernt. Zwei Stunden, das war vereinbart, und auch wenn ich die Zeit nirgendwo ablesen kann, werde ich beim Schätzen nicht schummeln.
Tomma regt sich ein wenig und die Decke rutscht zur Seite. Ich ziehe sie wieder zurecht und versuche mich zu erinnern, wann ich die ersten Krankheitssymptome bei ihr beobachtet habe.
Sie selbst hat Quirin erzählt, dass sie sich schon vor unserem Aufbruch angeschlagen gefühlt hat, und ich erinnere mich daran – gerötete Augen und eine laufende Nase. Sie war damals der Ansicht, sie hätte sich bei einem weiter zurückliegenden Außengang erkältet. Dann kam unsere Flucht durch den Schnee, in denkbar schlechter Ausrüstung, und das muss ihr den Rest gegeben haben.
Ich frage mich, ob Yann noch an sie denkt.
Der Gedanke führt mich fast wie von selbst zu Sandor, der jetzt im Clangebäude sitzt und … Was tut er wohl gerade? Ich glaube nicht, dass er schläft, aber vielleicht wacht er über die Verletzten, so wie ich über Tomma.
Oder er lässt die toten Scharten zu einem Haufen aufstapeln.
Du zuerst, Liebling .
Seit dem Morgen kreisen die Worte in meinem Kopf. Amüsieren mich, irritieren mich, stellen mich vor eigenartige Fragen. Wie zum Beispiel die, warum mir darauf keine schlagfertige Entgegnung eingefallen ist.
7
Am nächsten Tag geht es Tomma tatsächlich besser. Ihr Fieber ist gesunken und sie hat Appetit, was mich besonders freut, denn ihre Handgelenke sind dünn geworden wie die eines Kindes. Wir alle dürften an Gewicht verloren haben, aber niemand so viel wie Tomma.
Nachdem Tycho gestern bei ihr geblieben ist, biete ich an, ihr heute Gesellschaft zu leisten. Die anderen verabschieden sich kurz nach dem Frühstück. Aureljo und Dantorian wieder in »ihren« Teil der Bibliothek, dorthin, wo die Karten aufbewahrt werden. Tycho bleibt noch ein wenig bei uns, er bearbeitet Blechreste, will uns aber nicht sagen, was daraus werden soll. Gegen Mittag macht er sich auf eine weitere Expedition durch noch unbekannte Stollen und Gänge, immer voller Hoffnung, etwas ganz Unerhörtes zu finden.
Es wird für mich ein langer Tag werden und ich wünschte, ich hätte gestern ein oder mehrere Bücher mitgenommen. Dann hätte ich Tomma vorlesen können und eine Beschäftigung gehabt, für die Zeit, in der sie schläft. Doch ich habe nur die Seiten aus Jordans Chronik dabei, sie stecken nach wie vor in meinem Ärmel, die zweite habe ich
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