Die Verschworenen
mich frage, ob er ihn wirklich gesagt oder ob Aureljo ihn erfunden hat. Was er normalerweise nie tun würde.
Ich drehe und wende diese merkwürdig hohlen Worte in meinem Kopf und schlafe irgendwann darüber ein.
8
Immer noch steckt die neue Seite aus Jordans Chronik in meinem Ärmel, immer noch habe ich sie niemandem gezeigt. Am nächsten Morgen stimmen die Umstände wieder nicht. Aureljo übernimmt den Pflegedienst bei Tomma, obwohl er offensichtlich lieber an seinen Plänen weiterfeilen würde. Wir sprechen beim Frühstück nicht viel, mir sitzt der gestrige Abend noch in den Knochen, die Situation fühlt sich ausweglos an und die Düsternis hier unten bedrückt mich.
Immerhin kann ich wieder in die Bibliothek gehen. Vielleicht schaffe ich es, noch eine Chronik-Seite zu finden oder sogar ein paar aufeinanderfolgende Einträge, die ein klareres Bild ergeben.
Ich verlasse das Gewölbe als Erste, meine Stablampe in der Hand. Bevor ich mit meiner Arbeit beginne, möchte ich Fiore oder Bojan suchen, die sicher schon wissen, ob Sandors gestriger Raubzug erfolgreich war.
»Er hat dir davon erzählt?«, fragt Bojan ungläubig. Ich habe ihn im nächsthöher gelegenen Buchspeicher aufgestöbert; seine freudige Überraschung wird durch meine Frage aber stark getrübt.
»Ja, warum nicht? Er wollte wissen, ob wir Medikamente für Tomma brauchen.«
»Trotzdem. Wenn die Jäger einen Transport überfallen, erfahren die anderen das erst, wenn alles vorüber ist.«
»Warum?«
Bojan verschränkt die Finger. »Weil es früher Fälle von Verrat gegeben hat. Selten, aber es kam vor. Jemand, der gern von der Kälte in die Wärme wechseln möchte, gibt einem Sentinel einen Tipp, und schon tappen die Jäger in die Falle. Was keiner weiß, kann auch keiner ausplaudern.«
Natürlich, das habe ich nicht bedacht. »Dass ich nicht loslaufen und einen Sentinel ins Vertrauen ziehen würde, war Sandor wahrscheinlich klar«, erwidere ich. »Ich bin sicher, er hat nichts dagegen, wenn du mir verrätst, ob alles gut gegangen ist.«
»Ja, einigermaßen. Sie haben Mehl, Zucker und eine Menge anderer Lebensmittel erbeutet. Medizin leider nicht, zumindest keine Antibiotika, nur Vitaminpillen.«
Die Nachricht legt sich wie ein Bleigewicht auf meine Brust. Keine Medikamente. Wir sind auf Tommas eigene Abwehrkräfte angewiesen, und wenn die endgültig schwinden …
»Sag Sandor, ich danke ihm dafür, dass er es versucht hat. Dass er das Risiko eingegangen ist.«
Bojan legt seine Stirn in Falten. »Gestern soll es angeblich ein Spaziergang gewesen sein, aber Sandor meint, es wird schwieriger werden, nachdem es jetzt taut. Bisher konnten sie ihre Beute noch auf einen Schlitten verladen und damit fliehen, aber sobald der Schnee weg ist …«
Dann braucht man etwas mit Rädern dran, wie die Transportwagen in den Sphären. Bei unserem nächsten Ausflug nach draußen werde ich Sandor beschreiben, wie man so etwas konstruiert, und ich bin mir sicher, Tycho kann es bauen.
»Es war einfacher als sonst, da waren sich alle einig«, unterbricht Bojan meine Gedanken. »Als hätten die Sentinel überhaupt nicht mit einem Überfall gerechnet. Sie haben langsam reagiert. Verschlafen. Am Ende haben sie allerdings geschossen und Hennik nur knapp verfehlt. Die Kugel hat direkt neben ihm in einen Baumstamm eingeschlagen.«
Erst nicke ich nur, in Gedanken immer noch bei meiner Wagenkonstruktion, doch dann begreife ich, was Bojan gerade erzählt hat. Einfacher. Verschlafen. Lebensmittel.
»Ich muss mit Quirin sprechen, sofort!«
»Das geht nicht, er ist –«
Ich habe keine Zeit, mich mit Kleinigkeiten aufzuhalten. Mit ziemlicher Sicherheit ist Quirin in der Säulenhalle, sitzt vor einer der gewaltigen Bücherwände und hilft Dantorian dabei, seinen frühen Tod zu planen. Oder er versorgt Kranke, dann muss ich mich wirklich gedulden, bis die Luft rein ist. Egal, es ist dringend, ich werde einen Weg finden.
Bojan ruft mir nach, ich soll stehen bleiben, aber ich bin den ersten Treppenabsatz schon halb hinaufgelaufen. In meinem Kopf läuft ein Gespräch ab, das ich einmal mit Fiore geführt habe, als ich mit den Sammlern unterwegs war. Da ging es um Hilfspakete.
Die Angst, zu spät zu kommen, treibt mich an, gleichzeitig beflügelt mich aber auch die Hoffnung, Licht und Himmel sehen zu können, auf dem Weg in die Halle. Sobald ich in die ebenerdig liegenden Bereiche des Gebäudes gelange, gibt es überall Fenster, und manche davon sind nicht
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