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Die Verschworenen

Die Verschworenen

Titel: Die Verschworenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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hoch, tragen sie an mir vorbei.
    Dantorian nimmt mich am Arm. »Komm«, sagt er, und dann beginnt er zu singen, während wir langsam den engen Gang entlanggehen, in dem die Lampe, die Sandor an den Gürtel geschnallt hat, zuckende Schatten an die Wände wirft.
    Ich kenne das Lied nicht, aber es ist traurig und wunderschön. Bisher habe ich Dantorian nie singen gehört, ich wusste nicht, dass er eine so fabelhafte Stimme hat.
    Mein Kopf schmerzt von den geweinten Tränen und denen, die ich jetzt zurückhalte. Doch diesmal werde ich der Versuchung, ihnen freien Lauf zu lassen, nicht nachgeben. Ich will wieder vernünftige Gedanken fassen können – wir sind nur noch zu viert und ich kann nicht zulassen, dass weiterhin einer nach dem anderen sein Leben verliert.
    Ich rufe mir Graukos Lektionen ins Gedächtnis zurück. Innere Ruhe finden, sie ist immer da, wenn man alles andere ausblendet.
    Ich denke an eine schimmernde Glasfläche.
    An lautlos fallende Schneeflocken.
    An eine gleißende Sonne auf strahlendem Blau.
    Mein Atem geht ruhig, meine Gedanken sind klar wie frisches Wasser.
    Die Dinge liegen in deiner Hand, du kannst sie nach deinem Willen formen . Die Erinnerung an Graukos Stimme ist so gegenwärtig, dass ich meine, sie in meinem Kopf hören zu können.
    Wenn ich überleben will, muss ich mich auf meine Fähigkeiten besinnen. Ria auf der Flucht ist schwächer, als Ria aus der Sphäre es war. Sie zieht sich zurück, vergräbt sich zwischen Büchern und setzt ihre Begabungen nur noch nachlässig ein.
    Damit ist jetzt Schluss. Es ist ein stummes Versprechen, das ich Tomma gebe. Hätte ich sie genauer beobachtet, hätte ich vielleicht früher gemerkt, wie ernst ihr Zustand ist. Zu einem Zeitpunkt, an dem man noch etwas hätte tun können. Nie wieder wird mir so etwas passieren.
    Der Gang wird niedriger und schmäler; auch älter, so kommt es mir jedenfalls vor. Wir biegen nach links ab, gehen einige Treppenstufen hinauf und gleich wieder hinunter. Jetzt sind die Mauern um uns herum aus rötlichem Ziegel und sie schmiegen sich fast an uns, so eng ist der Gang.
    »Bis hierher bin ich noch nie gekommen.« Tycho, der hinter mir geht, spricht leise mit Fiore. »Ich muss den Durchgang übersehen haben. Ich wünschte …«
    Er lässt den Satz im Nichts enden und Fiore fragt nicht nach. Sie begreift wahrscheinlich, genau wie ich, was Tycho meint. Dass er sich für die Befriedigung seines Forscherdrangs einen anderen Anlass gewünscht hätte.
    Wir erreichen eine Art Halle, und als der Lichtkegel von Sandors Lampe über die Wände streift, traue ich meinen Augen nicht. Es ist ein Raum wie aus einem Albtraum. Bogenförmige Nischen, bis oben hin mit Knochen gefüllt. Augenlose Schädel.
    Ich denke sofort an Der Tod und das Mädchen . Ist das Quirins Plan? Tomma in einer Gruft mit Tausenden anderen Toten zurückzulassen, sie zwischen die Gerippe zu legen, bis man sie nicht mehr von ihnen unterscheiden kann?
    Wir durchqueren die Halle und gelangen in eine weitere. Dort wartet Quirin. Er trägt immer Weiß, aber so extrem wie in dieser Umgebung ist mir das noch nie aufgefallen. Eine helle Gestalt inmitten der Dunkelheit des Todes.
    Auch hier sind die Wände mit Knochen bedeckt, scheinen förmlich daraus zu bestehen. Einige liegen verstreut am Boden. Doch in diesem Raum stehen auch Särge und einer davon ist offen. Eine steinerne Kiste in einer dunklen Kammer, Tommas letzte Ruhestätte.
    Sandor und Aureljo setzen die Bahre vor Quirin ab. Beide sehen auf Tomma hinab, während sie einen Schritt zurücktreten.
    Als Aureljo zu mir kommt und mich in den Arm nimmt, wehre ich mich nicht, obwohl die Art, wie er mich hält, mich daran erinnert, wie Sandor die sterbende Tomma gehalten hat, und ich fühle, wie meine Muskeln sich anspannen, wie mein Körper ausbrechen will. Aber das ist Unsinn. Ich lebe. Und das wird so bleiben.
    »Wo sind wir?« Tychos helle Stimme füllt die Gruft mit Lebendigkeit und nimmt ihr einen Teil der drückenden Atmosphäre. Er ist das Gegenteil von allem, was uns hier umgibt.
    »Diese Räume heißen Katakomben«, erklärt Quirin. »Über uns befinden sich die Reste der früheren Kathedrale und unter ihr wurden schon vor fast tausend Jahren Menschen bestattet. Domherren, Bischöfe, aber auch ganz normale Leute.« Er streicht mit der Hand über den offenen Deckel des steinernen Sargs. »Vor langer Zeit gab es eine Epidemie in der Stadt. Die Pest. Sie tötete so viele Menschen, dass man sie nicht mehr bestatten

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