Die Verschworenen
konnte, sondern einfach hier unten ablegte, zu Hunderten.« Er blickt auf. Sieht uns alle an, aber mich am längsten. »Mein Großvater wurde in den Katakomben zur Ruhe gebettet und mein Vater neben ihm. Wir können Tomma nicht in Luft und Licht verabschieden. Es ist nicht das, was sie sich gewünscht hätte. Aber sie wird hier nicht allein sein. Ich komme oft her, um nachzudenken, um Zwiesprache mit meinen Vorfahren zu halten. Es ist ein Ort der Stille, nicht des Schreckens.« Ein Lächeln umspielt seine Lippen und auch das gilt wieder mir. »Es ist ein Ort, an den man gehen kann, wenn man seine Toten ehren will. Und das ist es doch, was wichtig ist, nicht? Für Tomma selbst spielt es keine Rolle, sie hat ihr Licht und ihre Freiheit längst gefunden.«
Er fasst in Worte, was ich zuvor gefühlt habe. Tomma ist fort und wir klammern uns an Rituale, um allmählich damit zurechtzukommen.
Trotzdem lassen diese unterirdischen Hallen, diese geballte Ansammlung von Tod, mich schaudern. Jeder der grinsenden Schädel erzählt mir von meinem eigenen Tod, der unausweichlich ist. Nicht heute, vielleicht auch nicht morgen, aber irgendwann.
»Es ist jetzt Zeit, Abschied zu nehmen«, sagt Quirin leise. »Ich kenne eure Gebräuche nicht und möchte euch unsere nicht aufdrängen.«
Aureljo tritt vor. Wie schon bei Fleming greift er auf die Worte zurück, die bei den Trauerfeiern in den Sphären gesprochen wurden. Meine Tränen bilden eine brennende Wand hinter meinen Augen, aber ich lasse sie nicht passieren. Nicht mehr.
»Wir sind einen weiten Weg miteinander gegangen«, beginnt er. »Tomma ist er anfangs sehr schwergefallen, aber als sie gesehen hat, wohin er sie führen wird, hat sie ihn mehr genossen als jeder andere von uns. Sie hat Sonne, Luft und Erde geliebt wie niemand sonst, den ich kenne. Dass der Weg für sie so früh zu Ende sein musste, wird mir unbegreiflich bleiben.« Der Blick aus seinen dunkelgrünen Augen sucht mich, hält mich fest und lässt mich wieder los, um sich auf die Bahre zur richten. Aureljo atmet geräuschvoll ein und aus, bevor er weiterspricht. »Wir trauern um Tomma, benannt nach dem berühmten Biologen und Botaniker Mutius von Tommasini, mit dem sie den Forschergeist und die Liebe zu allem teilte, was wächst, blüht und uns nährt. Wir werden sie vermissen und sie nie vergessen.«
Er kniet sich neben sie, küsst ihre Stirn und streicht ihr über die Wange. Ich kann sehen, wie seine Unterlippe zittert, aber seine Stimme hat es nicht getan. Unser Training sitzt tief.
Dantorian ist der Nächste, aber er hält sich nicht mit Ansprachen auf, sondern tut das, was er bereits auf dem Weg hierher getan hat: singen. Es ist ein irisches Lied, das ich schon einmal gehört haben muss, es kommt mir bekannt vor, hat es nicht Tomma selbst einmal gesummt, als wir in den Sphären Setzlinge gepflanzt haben? I watch the sunrise , beginnt es und erzählt von Sonnenlicht und Schatten und Menschen, die uns immer nahe sein werden. Meine Kehle wird eng, aber auch diesen Kampf gegen die Tränen gewinne ich.
Danach tritt Tycho vor. Er fasst sich kurz und richtet seine Worte nicht an uns, sondern nur an Tomma. »Es ist so scheißunfair, dass du den Wölfen und den Sentineln und dem beschissenen Eis entkommen bist, nur um dann an einer Erkältung zu sterben. Oder meinetwegen an einer Lungenentzündung, wen kratzt das. Auch wenn wir nicht die besten Freunde waren und ich im Leben nicht kapieren werde, was du an Yann gefunden hast, ich hätte alles dafür getan, damit du dabei bist, wenn die Sonne den Schnee wegschmilzt und dann unendlich viel Erde da ist, die man endlich bepflanzen kann, mit allem, worauf man Lust hat. Ich weiß, dass du das tun wolltest, und ich könnte alles kurz und klein treten, wenn ich daran denke, dass du stattdessen hier unten sein wirst und wir ohne dich weitermachen müssen.«
Er dreht sich um und geht, wartet nicht ab, was jetzt noch kommt, sondern verschwindet in der Schwärze der schweigenden Korridore. Aber um ihn muss ich mir keine Sorgen machen, er wird sich nicht verirren. Nicht Tycho.
Mein Kopf ist leer, als ich an die Bahre trete. Dantorians Lied und Tychos Worte hallen in mir nach; sie haben alles ausgedrückt, was ich hätte sagen können. Also erzähle ich von Tomma. Wie ich sie kennengelernt habe, als wir beide zwölf waren, wie wir beide für den gleichen Sentinel der Quartierwache geschwärmt haben. Welche Pläne sie hatte, welche Ängste. Dass sie hierbleiben wollte, mit den
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