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Die Verschworenen

Die Verschworenen

Titel: Die Verschworenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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einzigen Menschenknochen, die ich dort je gesehen habe, waren die von Attila.«
    Ich lache auf und der Laut kehrt als Echo zu mir zurück. Attila war eins der drei Skelette, die in den Medizinlektionen an der Akademie als Anschauungsobjekte verwendet wurden. Er hat mir nie Angst eingeflößt, warum also schrecke ich vor uralten Knochen unter der Erde zurück?
    Weil sie einmal zu einem lebendigen Wesen gehört haben, das geatmet, gelacht und sich gefürchtet hat, wie du. Weil sie dir vor Augen führen, dass du eines Tages ebenso tot sein wirst wie sie. Dass das Einzige, was deinen Zustand von ihrem unterscheidet, ein paar Jahre sind. Oder weniger.
    »Lass uns weitergehen.« Meine Stimme klingt fest und ich glaube, ich habe meine Gefühle wieder unter Kontrolle. Das, was mich ängstigt, sind nicht die Knochen selbst, sondern die Bedeutung, die ich ihnen gebe. Das zu kontrollieren habe ich gelernt.
    Wir steigen drei schiefe Stufen nach unten und mit jedem Schritt und jedem Atemzug werde ich ruhiger. Wenn ich wertvolle Geräte aus den Sphären besitzen würde, wo würde ich sie dann verstecken?
    Tycho schlägt, ohne zu zögern, den Weg nach links ein. »Wollen wir bei Tomma vorbeigehen? Ich würde das gern tun.«
    Eine gute Idee. Damit haben wir zumindest ein vorläufiges Ziel, auch wenn ich insgeheim fürchte, an ihrer Ruhestätte mit Dingen konfrontiert zu werden, die ich gern meiner Fantasie überlassen hätte. Gerüchen, zum Beispiel. Oder der Tatsache, dass es in den Gängen und Kanälen Ratten gibt, die nach Futter suchen.
    Doch meine Sorge erweist sich als unbegründet. Der Steinsarg, der bei der Trauerfeier noch offen gestanden hat, ist jetzt fest verschlossen. Ich wünschte, wir hätten etwas mitgebracht, womit wir ihn schmücken könnten.
    Quirins Worte kommen mir wieder in den Sinn. Es ist ein Ort, an den man gehen kann, wenn man seine Toten ehren will. Für Tomma selbst spielt es keine Rolle, sie hat ihr Licht und ihre Freiheit längst gefunden .
    »Licht und Freiheit«, sage ich leise und streiche mit der Hand über den Steindeckel. »Das wünsche ich dir so sehr.«
    Wir stehen ein paar Minuten schweigend da, jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Die Gebeine an der Wand stören mich kaum noch; wenn ich ein wenig öfter herkomme, werde ich sie wahrscheinlich bald nicht mehr wahrnehmen.
    Hohläugige Schädel, die ins Nichts starren. Einen davon hat Chendar an sich genommen … weil er Symbole liebte. Das Einzige, wofür ein solcher Schädel meiner Meinung nach stehen könnte, ist der Tod.
    »Weißt du, wohin es in dieser Richtung weitergeht?« Ich deute auf den Torbogen, der rechts von uns liegt.
    »Ja. Den nächsten Raum kenne ich, der ist leer. Was danach kommt, habe ich mir noch nicht angesehen. Sollen wir?«
    Ich nicke und Tycho läuft voraus, viel zu unvorsichtig für meinen Geschmack. Bei Gelegenheit werde ich versuchen, mit ihm ein Gespräch über Neugierde zu führen.
    Wir durchqueren den leeren Raum, gelangen in den nächsten, der sehr ähnlich aussieht. Tycho leuchtet die Wände entlang – hier gibt es weder Knochen noch Särge, nur ein wenig Holz, das von ehemaligen Möbeln stammt und in Stapeln in einer Ecke lagert. Brennstoff.
    Als wir den dahinterliegenden Raum betreten, habe ich plötzlich das Gefühl, ein Echo meiner eigenen Schritte zu hören. Ich packe Tycho an der Schulter. Wir bleiben stehen, aber die Schritte verklingen nicht, im Gegenteil. Sie werden lauter. Jemand kommt auf uns zu.
    Verstecken, ist mein erster Reflex. Zurück zu den Toten, zu den Nischen, dort kann man sich verbergen. Falls es Schlitzer sind, die einen Weg unter die Stadt gefunden haben. Auch wenn Fiore meint, dass sie nie in dunkle Schächte steigen, weil sie über keine Lichtquellen verfügen – für Schlitzer, die von den Sphären ausgestattet wurden, um einen Spezialauftrag zu erledigen, würde das nicht gelten.
    Ebenso wenig für Nachtläufer – im Gegenteil, der Clan ist darauf spezialisiert, im Dunkeln zu jagen.
    Tycho und ich verständigen uns durch einen stummen Blick und weichen leise zurück. Die Schritte nähern sich immer noch, aber wenn ich mich nicht täusche, ist es keine Horde von Menschen, die auf uns zukommt, sondern nur ein einziger.
    Ein weißer Schemen erscheint im Torbogen. »Stehen bleiben.«
    Erleichterung durchflutet mich, als ich die Stimme erkenne. »Quirin! Wir sind es nur. Tycho und Ria.«
    »Was tut ihr hier?« Der Lichtkegel unserer Lampe trifft ihn und er schützt die Augen

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