Die verschwundene Frau
ein paar Wochen wissen, was ich erfahren möchte. Vielleicht dauert's nicht mal so lange.«
Nun hielt er mich nicht mehr nur für wahnsinnig, sondern auch für hoffnungslos idealistisch, und präsentierte mir seine Argumentation: Möglicherweise hatte ich geglaubt, Baladine nicht bewusst zu verärgern, aber warum hatte ich keine Ruhe gegeben, als er im vergangenen Monat mit der Staatsanwaltschaft über meinen Wagen verhandelt hatte? Ein Gefängnis war ein ziemlich zerstörerischer Ort. Es zehrte an Nerven und Gesundheit und veränderte Urteilsvermögen und Moral.
»Das weißt du genausogut wie ich, Vic: Schließlich hast du selber mal als Pflichtverteidigern! gearbeitet.«
»In den vier Tagen hier habe ich auch eine ganze Menge gelernt. Am Sonntag habe ich mich mit der Anführerin der West Side Iscariots angelegt, und seitdem muss ich höllisch aufpassen. Ich hasse dieses Gefängnis. Ich bin einsam. Selbst wenn das Essen nicht so furchtbar wäre, würde einem das Grauen kommen, weil man sich bei den Mahlzeiten ständig die Kakerlaken von Armen und Beinen wischen muss; jedesmal wenn die Zellentür abends geschlossen wird, bekomme ich ein so flaues Gefühl im Magen, dass ich kaum schlafen kann; außerdem kann man sich nirgendwohin zurückziehen - nicht mal auf der Toilette ist man allein.« Zu meiner Bestürzung traten mir die Tränen in die Augen. »Aber wenn ich deinem Rat folge und dich die Kaution hinterlegen lasse, muss ich meine Detektei schließen und mich irgendwo verstecken. Das könnte ich mir nicht leisten, nicht mal dann, wenn es meine Selbstachtung zulassen würde.«
»Du wirst mich nicht davon überzeugen, dass das die einzigen beiden Alternativen sind, aber ich habe keine Zeit, mich mit dir darüber auseinanderzusetzen. Ich habe einen Gerichtstermin in Chicago.« Er sah auf seine Uhr. »Außerdem hast du sowieso schon beschlossen, stur zu sein, also hat's überhaupt keinen Sinn, wenn ich mich mit dir rumstreite. Sag mir, was du brauchst - wieviel Geld und was für Sachen -, dann schicke ich Callie in deine Wohnung, die kann alles holen. Ich habe eine Praktikantin, die dir die Sachen hier rausbringen und den Papierkram mit dem Geld erledigen kann.«
Außer der Kleidung, die mir im Gefängnis zustand (zwei BHs, zwei Jeans, drei Unterhosen, fünf T-Shirts, ein Paar Shorts und bescheidene Ohrringe), wollte ich, dass Morrell mich besuchen kam. »Außerdem sollen alle kommen, die die Fahrt auf sich nehmen wollen - Lotty und Mr. Contreras und Sal stehen schon auf meiner Besucherliste -, aber sagst du bitte Morrell, dass er so bald wie möglich hier rauskommen soll? Und was das Geld anbelangt: Ich hätte gern dreihundert Dollar auf meinem Gefängniskonto.«
Für das, was ich sonst noch zu sagen hatte, wählte ich meine Worte sorgfältig: »Ich weiß, dass man sich strafbar macht, wenn man einem Gefangenen Geld bringt, also werde ich dich nicht drum bitten. Wenn ich allerdings vierhundert Dollar in kleinen Scheinen kriegen könnte, würde mir das sehr helfen. Konntest du das Lotty sagen, sie aber auf das Risiko hinweisen?«
Ich brauchte das Geld, um im Bedarfsfall Aufseher oder Insassen oder beide bestechen zu können. In der Theorie gab es in Coolis kein Bargeld, weil man bei der Aufnahme einen Ausweis mit Foto und Computerchip ausgestellt bekam. Die Summe, die man auf dem Gefängniskonto hatte, wurde auf den Chip geladen. Wenn man die Karte dann an den Automaten, im Laden oder an den Münzwaschmaschinen benutzte, wurde jeweils der entsprechende Betrag abgebucht. Der Gedanke dahinter war, dass man keinerlei Bargeld für Glücksspiel, Bestechungen oder Drogen hatte, aber in den vier Tagen, die ich mittlerweile in Coolis war, hatte ich schon eine ganze Menge Geldscheine den Besitzer wechseln sehen -übrigens nicht einmal besonders unauffällig.
Freeman runzelte die Stirn und sagte in seinem strengsten Tonfall, dass er mit Lotty sprechen würde, allerdings nur, um ihr klarzumachen, wie gesetzwidrig mein Vorschlag war.
Er machte sich noch ein paar Notizen in seiner winzigen Schrift und steckte dann alle Unterlagen in seine Aktentasche. »Vic, du weißt, dass mein einziger Rat für dich in meiner Eigenschaft als dein Anwalt nur sein kann, dass du die Kaution hinterlegen lässt und nach Hause kommst. Falls du doch noch beschließen solltest, auf mich zu hören, brauchst du nur in meinem Büro anzurufen. Dann kommt sofort jemand raus.«
»Freeman, eine Frage noch, bevor du gehst: Weißt du, warum ich
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