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Die verschwundene Frau

Die verschwundene Frau

Titel: Die verschwundene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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Luft, und wenn er versuchte, mich zu begrabschen, rief ich so lange laut auf italienisch, bis wir endlich wieder in einem Gemeinschaftsraum waren. Toll war diese Art der Verteidigung nicht, aber eine bessere Methode fiel mir nicht ein.
    In der Näherei hielt ich mich in den kurzen Pausen in Gesellschaft der Raucherinnen auf und versuchte, sie über Nicola und die Kleidungsstücke auszufragen, die wir herstellten - wohin wurden sie geliefert, wenn sie fertig waren? Das Gesetz von Illinois schrieb vor, dass alles, was in einem Gefängnis produziert wurde, auch im Gefängnis verbraucht werden musste, aber ich hatte in unserem Laden noch nie eins von unseren Stücken gesehen. Und der Ausstoß war enorm, zumindest bei meinen Mitarbeiterinnen.
    Die Tatsache, dass in der Näherei so viel ausschließlich von ausländischen Frauen hergestellt wurde, hielt mich trotz meiner zerstochenen Hände und der üblen Behandlung durch Erik Wenzel bei der Stange.
    Und noch etwas ließ mich nicht aufgeben: ein Raum am unteren Ende des Flurs, in den die fertigen Kleidungsstücke gebracht wurden. Jede Stunde sammelten Wenzel und Hartigan, der Aufseher, der mein Geld von Miss Ruby entgegengenommen hatte, um mir diesen Job zu verschaffen, unsere Produktion ein, überprüften sie, schrieben auf eine Karte, wieviel davon zu gebrauchen war, und stapelten die Sachen auf einen großen Handwagen. Eine der Kambodschanerinnen schob den Wagen dann den Flur zu dem anderen Raum hinunter.
    Am zweiten Morgen, den ich in der Näherei arbeitete, schlenderte ich in der Zigarettenpause hinter ihr her. Als die Tür für den Wagen geöffnet wurde, sah ich eine ganze Reihe von Lichtern, Maschinen und Menschen. Aber bevor ich genauer hinschauen konnte, wurde ich zu Boden geworfen. Ich rollte weiter, bereit, meinem Angreifer einen Tritt zu versetzen, doch da fiel mir wieder ein, dass ich mich im Gefängnis nicht wehren durfte. Wenzel stand über mir, das Gesicht rot vor Zorn, und befahl mir in einer Mischung aus Englisch und Spanisch, wieder in die Näherei zurückzukehren. Sein Spanisch war nicht besser als meines, enthielt aber jede Menge grober Ausdrücke für den weiblichen Körper. Und dann schrieb er mich auf; das war meine dritte Verwarnung, seit ich in Coolis war. Die Gefahr, dass ich in Einzelhaft landen würde, wurde immer größer, weil die Verwarnungen samt und sonders für Vergehen waren, die man als tätlichen Angriff interpretieren konnte.
    Ich hatte nur so kurz in den Raum schauen können, dass ich mir das, was ich dann entdeckt hatte, nicht erklären konnte. Wie geheim konnte die Sache sein, wenn die kambodschanischen Frauen hineindurften? Andererseits hatten meine Mitarbeiterinnen wahnsinnige Angst, über diesen Raum zu sprechen. Die Frauen, die dort arbeiteten, verbüßten alle eine lebenslange Haftstrafe - das war das einzige, was Ich herausgefunden hatte. Niemand redete je mit ihnen, denn sie waren in einem eigenen Trakt des Gefängnisses untergebracht.
    Als ich am nächsten Morgen wieder nach dem Raum fragte, wichen die Raucherinnen ängstlich vor mir zurück. Aufseher Hartigan war selbst starker Raucher; die Frauen sahen nervös zu ihm hinüber, wenn ich mit ihnen sprach.
    »Tu preguntas demasiado, du fragst zuviel«, flüsterte mir eine der Frauen schließlich zu, als Hartigan im Zuschneideraum verschwand, um sich mit einer Maschine zu beschäftigen, die nicht mehr richtig funktionierte. »No sigas preguntando por Nicola. Frag nicht mehr weiter nach Nicola. Sie hat erfahren, dass ihr Baby tot ist, und sie wollte nach Chicago, um ihr Kind zu begraben. Natürlich hat ihr niemand erlaubt zu gehen, aber sie war außer sich vor Zorn und hat angefangen, mit bloßen Fäusten auf Wenzel einzuschlagen. Er und Hartigan haben sie mit ihren Elektroschockern außer Gefecht gesetzt, und dann haben sie gelacht und sich einen Spaß mit ihr gemacht. Aber jetzt frag nicht mehr weiter. Für uns hat sie nie existiert, und die Aufseher werden dich schwer bestrafen, wenn sie herausfinden, dass du Fragen über sie stellst. Sie werden auch mich bestrafen, wenn sie glauben, dass ich mich noch an sie erinnere.«
    Es fiel mir schwer, ihr rauhes Spanisch zu verstehen, doch bevor ich sie bitten konnte, das eine oder andere zu wiederholen, zuckte sie zusammen und versuchte, wieder im Arbeitsraum zu verschwinden. Aufseher Hartigan packte ihren Arm und dann eine ihrer Brüste, die er presste und herumdrehte, bis die Frau vor Schmerz keuchte.
    »Du redest doch hier keine

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