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Die verschwundene Frau

Die verschwundene Frau

Titel: Die verschwundene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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dass er Coolis leitete und dass Nicola vor ihrer Festnahme für ihn gearbeitet hatte. »Er ist der Mann, von dem ich vorher erzählt habe. Er hat viel mehr Macht und Geld, als ich je haben werde. Ihm gefällt der Gedanke, dass ich in seinem Gefängnis eingesperrt bin.«
    Nun sah sie mir zum erstenmal in die Augen und dachte über meine Geschichte nach, die den Vorteil hatte, fast ganz zu stimmen -auch wenn sie möglicherweise der Meinung war, Baladine sei mein Mann. »Niemand weiß, was mit Nicola passiert ist«, sagte sie. »Ich hab' 'ne ganze Menge unterschiedliche Geschichten gehört, und ich weiß nicht, welche davon stimmt. Der Aufseher meint, sie hätte Frauenprobleme gehabt und musste ins Krankenhaus, und von da ist sie dann abgehauen. Jemand anders hat gesagt, sie ist in eine von den großen Maschinen in der Näherei geraten und gestorben. Da haben die Aufseher Angst bekommen, weil sie die Maschine nicht rechtzeitig ausgeschaltet haben, und ihre Leiche irgendwo in Chicago rausgeschmissen. Wieder andere von den Frauen behaupten, sie hätte sich mit einem Aufseher angelegt, aber das ist Unsinn, weil sie viel zu klein dazu war.«
    »Sie ist in Chicago gestorben«, sagte ich.
    Miss Ruby liebte es, Exklusivinformationen zu bekommen. Das war ihr lieber als ein ganzer Strauch Tomaten, also stellte sie mir ziemlich viele Fragen über Nicolas Tod. Ich erzählte ihr alles, was ich wusste - nur nicht, wie ich überhaupt auf Nicola gestoßen war -, und fragte sie, wieso sie Nicola unter ihre Fittiche genommen habe.
    »Viele von den Mädchen hier haben nicht die geringste Achtung vor anderen. Nicola jedoch kam aus einem Land, in dem man alte Leute mit Respekt behandelt - irgendwo in der Nähe von Japan, das ist wahrscheinlich der Grund. Sie hat gesehen, dass mir Schultern und Nacken weh tun, wenn ich sechs Stunden lang am Telefon sitze, und mich massiert. Dafür habe ich natürlich meinerseits versucht, ihr ein bisschen zu helfen.«
    Während Miss Ruby mir das erzählte, überlegte ich, ob Nicola vielleicht überhaupt nie im Krankenhaus gewesen war. Möglicherweise hatte Captain Ruzich sie direkt von Coolis aus nach Chicago bringen lassen. Nein, das konnte nicht sein, denn die Stationsschwester in der Krankenstation hatte über Nicola Bescheid gewusst. Es sei denn natürlich, man hatte ihr eingeschärft zu sagen, Nicola sei dortgewesen, obwohl das nicht der Fall war.
    »Ich muss jemanden finden, der mir sagen kann, was in der Werkstatt passiert ist an dem Tag, nachdem sie weg war. Oder ich brauche einen Job in der Näherei.«
    Miss Ruby grunzte etwas. »Du wirst die Mädchen nicht dazu bringen, über das zu reden, was in der Näherei passiert. Alle hier haben Angst. Die Wachleute können einem das Recht wegnehmen, im Laden einzukaufen oder zu telefonieren, oder einen in Einzelhaft stecken. Aber die Mädchen aus der Näherei reden mit niemandem. Die meisten von ihnen können sowieso kein Englisch.«
    »Wenn ich also in die Näherei möchte, müsste ich eine Ausländerin sein.«
    »Als allererstes müsstest du deine Verhandlung verlieren. Die Mädchen in U-Haft müssen den Küchendienst und die anderen üblen Sachen machen, nicht die, die Geld bringen.«
    »Ich muss aber in die Näherei«, sagte ich. Aus den Augenwinkeln nahm ich Polsen wahr. »Wieviel würde das kosten, und wer könnte es für mich arrangieren?«
    »Was willst du wirklich hier, Cream?« fragte Miss Ruby leise.
    Ich sah weiter geradeaus und sprach, fast ohne die Lippen zu bewegen. »Ich möchte Robert Baladine vernichten. Wenn ich herausfinde, was mit Nicola passiert ist, habe ich vielleicht eine Möglichkeit, ihm alles heimzuzahlen.«
    »Pass mal auf, dass du dir an deinen Rachegelüsten nicht die Zähne ausbeißt. So was zahlt sich nicht aus, Cream, glaub mir das. Ich hab' das auch ein paar Jahre lang versucht, bevor Jesus mir einen besseren Weg gezeigt hat.«
    Sie schwieg, als warte sie darauf, dass ich Amen sagte oder sie bat, mir ihre Bekehrungsgeschichte zu erzählen, aber ich schaffte es einfach nicht, einen Glauben vorzutäuschen, den ich nicht hatte.
    Enttäuscht über mein mangelndes Interesse sagte sie schließlich: »Niemand will die Jobs in der Näherei; die Geschichten darüber, wie sie die Mädels da behandeln, sind einfach zu übel. Folglich habe ich noch nie gehört, dass jemand sich einen Platz in der Näherei kaufen will - normalerweise sind alle drauf aus, wieder rauszukommen. Und die meisten von ihnen schlafen und essen auch zusammen.

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