Die verschwundene Frau
auf die Idee gekommen, dass Nicola illegal hiersein könnte. Natürlich wusste ich von ihren Kindern, aber ich habe mich nicht für ihr sonstiges Privatleben interessiert, jedenfalls nicht, wenn es nicht meine eigene Familie betroffen hat.« Er zwang sich zu einem Lächeln.
»Dann wissen Sie also nicht, an wen sie sich gewandt haben könnte, nachdem sie letzte Woche geflohen war? Ihnen ist nichts bekannt über eventuelle Liebhaber, die sie verprügelt haben könnten?«
»Sie verprügelt?« fragte er. »Ich dachte, sie sei von einem Wagen überfahren worden. Natürlich nicht von Ihrem.«
»Sehr witzig«, sagte ich »Ihre Frau und ihre Freundinnen wussten, dass Nicola geschlagen worden war. Wenn sie das nicht von Ihnen wussten, woher dann?«
Wieder zuckte die Ader an seiner Schläfe, doch er legte die Fingerspitzen aufeinander und sagte von oben herab: »Ich werde nicht versuchen herauszufinden, wer was zu wem gesagt hat. Das ist kindisch und unprofessionell, das sage ich oft unseren neuen Mitarbeitern. Vielleicht habe ich mich mit meiner Frau über das Thema unterhalten, bevor ich alle Informationen von der Staatsanwaltschaft und der Chicagoer Polizei hatte. Die letzte Information, die ich von ihnen erhalten habe, ist jedenfalls, dass Nicola überfahren wurde und der Fahrer geflohen ist.«
»Dann sollten Sie mit den Ärzten sprechen, die sie sich angesehen haben. Zwar ist ihre Leiche verschwunden, was bedeutet, dass keine Obduktion möglich ist, aber der Arzt in der Notaufnahme des Beth Israel hat gesehen, dass sie aufgrund eines Schlages gestorben ist, der ihren Dünndarm perforiert hat. Das ist mit Sicherheit eine andere Todesursache als ein Unfall.«
»Sie wollten von Eleanor also nur etwas über Nicolas Privatleben erfahren. Es tut mir leid, dass wir Ihnen da nicht helfen können.«
»Die Frau hat - wie lange? - zwei Jahre? für Sie gearbeitet, und Sie wissen nicht, mit wem sie sich in ihrer Freizeit getroffen hat? Aber dass ich gern Whisky trinke, kriegen Sie innerhalb eines Nachmittags heraus? Ich könnte mir vorstellen, dass Ihnen das Wohl Ihrer Kinder ein bisschen wichtiger ist als mein Privatleben.«
Er kicherte. »Nun, vielleicht interessieren Sie mich einfach mehr als eine windelwechselnde Einwanderin.«
»Auf Ihren Sohn scheint sie ziemlichen Eindruck gemacht zu haben. Das hat Ihnen nicht zu denken gegeben?«
Er verzog ein wenig angewidert den Mund. »Robbie hat geweint, als die Katze einen Vogel gefangen hat. Er hat wieder geweint, als wir die Katze einschläfern haben lassen. Auf ihn machen viele Dinge Eindruck. Vielleicht hilft die Militärschule dagegen.«
Der arme Junge. Ob er wusste, was ihm bevorstand? »Und wieso wollten Sie, dass ich die ganze Strecke bis zu Ihnen fahre?«
»Ich wollte sehen, ob Sie die Fahrt tatsächlich auf sich nehmen.«
Ich nickte, ohne etwas zu sagen. Er hatte also beweisen wollen, dass er eine große Nummer war und ich nur ein kleiner Fisch. Sollte er doch denken, dass ihm das gelungen war.
»Sie sind seit sechzehn Jahren Privatdetektivin, Vic.« Er benutzte nun ganz bewusst meinen Vornamen: Ich war ja ein kleiner Fisch, da konnte er mich ohne weiteres von oben herab behandeln. »Wie kommen Sie eigentlich zurecht? Ihre Einnahmen decken doch kaum Ihre Ausgaben.«
Ich erhob mich grinsend. »Wissen Sie, das hat mit Idealismus und Naivität zu tun, Bob. Und natürlich auch mit der Neugierde darauf, was als nächstes passiert.«
Er lehnte sich auf seinem Ledersessel zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Sie sind eine gute Privatdetektivin, da sind sich alle einig. Aber es heißt auch, dass Sie sich immer wieder bei Fällen engagieren, die wenig Erfolg versprechen. Haben Sie nie daran gedacht, Ihr Büro aufzugeben und für ein Unternehmen wie das meine zu arbeiten? Dann brauchten Sie sich keine Gedanken mehr über das Einkommen zu machen. Sogar für die Rente wäre gesorgt.«
»Soll das vielleicht ein Jobangebot sein?«
»Nun, Sie könnten darüber nachdenken. Ein direktes Angebot ist es nicht. Was würden Sie tun, wenn ein Unternehmen wie Continental United plötzlich aufhörte, Ihnen die kleinen Aufträge zu geben? Die großen Sachen erledigen wir schon für sie, es ist gut möglich, dass sie uns eines Tages auch noch die kleinen geben.«
Mein Alptraum seit Jahren, aber ich zwang mich zu lächeln und hoffte, dass dieses Lächeln meine Augen erreichte. »Tja, dann würde ich meine CD-Sammlung verkaufen und eine Weile in Italien
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