Die verschwundene Frau
Meinung, dass das den Leuten vorbehalten ist, die nicht bereit sind, sich die Hände schmutzig zu machen. Aber vielleicht sollten wir uns jetzt den Fragen zuwenden, mit denen wir uns im Augenblick auseinandersetzen müssen. Meine Frau war ziemlich aus der Fassung darüber, dass Sie sie gestern befragt und sich als Detective der Chicagoer Polizei ausgegeben haben.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe mich nicht als Polizistin ausgegeben. Ich bin Privatdetektivin und habe eine gültige Lizenz des Staates Illinois.«
Er lächelte mich von oben herab an. »Sie wissen ganz genau, dass meine Frau Sie niemals hereingelassen oder gar mit Ihnen gesprochen hätte, wenn sie gewusst hätte, dass Sie nicht bei der Chicagoer Polizei sind.«
Ich lächelte zurück. »Sie sollten stolz auf mich sein, Baladine -schließlich beweist es, dass ich keine Angst davor habe, mir die Hände schmutzig zu machen.«
Er runzelte kurz die Stirn. »Vielleicht sollten Sie das lieber anderswo als ausgerechnet meiner Familie gegenüber unter Beweis stellen. Das gilt besonders für meinen Sohn, der leider selbst ein wenig naiv ist und deshalb leicht Opfer von Leuten wird, die diese Schwache ausnutzen wollen.«
»Ja, wahrscheinlich hält jeder die eigene Familie für unantastbar, egal, wieviel er mit der Weltpolitik zu tun hat. Aber das macht die Sache ja gerade so verwirrend, finden Sie nicht? Jeder, sogar Gaddafi, hat eine Familie, die er für unantastbar hält. Jeder hat außerdem seinen eigenen Standpunkt, und wer konnte schon beurteilen, welcher Standpunkt zuverlässiger oder schützenswerter ist?«
»Und welchen Standpunkt wollten Sie vertreten, als Sie meine Frau aus der Fassung gebracht haben?« Er versuchte, einen gelassenen Tonfall zu wahren, aber er wurde unruhig, weil er sich in eine philosophische Diskussion hatte verwickeln lassen, bei der ich mich ihm als überlegen erwies. Seine Hände blieben ruhig, aber die Ader an seiner Schläfe zuckte. Ich ließ mir meine Erleichterung nicht anmerken.
»Meinen eigenen, Mr. Baladine. Sie haben ja eine ganze Menge Geld investiert, um etwas über meine Trinkgewohnheiten herauszufinden, da wissen Sie sicher auch, dass man versucht hat, mich festzunehmen, weil ich angeblich Fahrerflucht begangen habe. Das Opfer war übrigens Ihr früheres Kindermädchen. Oder ist die ganze Sache etwa von Ihnen und Jean-Claude Poilevy veranlasst worden?«
Er lachte, doch das Lächeln erreichte seine Augen nicht. »Es ehrt mich, dass Sie so viel Achtung vor meinem Einfluss haben, aber ich glaube, Nicolas Tod war einfach ein unglücklicher Zufall. Sie ist aus dem Gefängnis geflohen, dann wurde sie überfahren. Ich kann nicht einmal sagen, dass mir das leid tut, denn sie war eine Lügnerin und Diebin. Das stärkste Gefühl, das ich hinsichtlich dieser Angelegenheit habe, ist Verärgerung, denn nun hat mein hypersensibler Sohn wieder Probleme wegen dieser Geschichte.«
»Der arme Robbie«, sagte ich. »Er ist einfach nicht der richtige Sohn für einen so männlichen Vater. Vielleicht ist er nach der Geburt vertauscht worden und eigentlich das Kind eines Künstlers.«
Er verstand die Ironie nicht und verzog nur das Gesicht. »Manchmal glaube ich das fast. Seine kleine Schwester ist viel stärker als er. Aber Sie haben meine Frau nicht befragt, um herauszufinden, ob J. C. und ich Sie beschatten, weil Sie zu dem Zeitpunkt noch gar nicht wussten, dass wir befreundet sind.«
Meine Nachforschungen hatten ihn also doch ein bisschen aus der Ruhe gebracht, sonst hätte er sich nicht so genau mit der Chronologie befasst. »Ich hatte gehofft, dass Ihre Frau mir etwas über Ms. Aguinaldos Privatleben sagen könnte, aber offenbar hat sie sich nicht sonderlich für die Frau interessiert, die sich die ganze Zeit um ihre Kinder gekümmert hat. Doch vielleicht haben Sie ja da ein bisschen tiefer geschürft?«
»Was soll denn das heißen?« Er nahm sein Wasserglas in die Hand und musterte mich über seinen Rand hinweg.
Ich schlug die Beine übereinander. »Carnifice bietet seinen Kunden eine Überwachung der Angestellten bei der Arbeit sowie die Überprüfung ihrer Referenzen an. Ich gehe davon aus, dass Sie beide Angebote bei Nicola Aguinaldo genutzt haben.«
»Wissen Sie, das ist die alte Geschichte vom Schuhmacher, dessen Kinder nie richtige Schuhe an den Füßen haben. Wir haben uns voll und ganz auf die Referenzen der Agentur verlassen, von der wir auch früher schon unsere Kindermädchen bekommen haben. Ich bin gar nicht
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